In Deutschland bestimmt oft die Herkunft, welche Schule ein Kind besucht. Für Migranten ist das nachteilig. Forscher schlagen vor, in Schulen mehr Verständnis für die verschiedenen Kulturen zu wecken.

Sprecher:
Der 14-jährige Muhammad aus Berlin-Neukölln gilt als Problemkind. Er hasst seine Schule. Im Unterricht kommt er meistens nicht mit. Oft versteht er die Wörter nicht, die seine Lehrer benutzen. Aber das zuzugeben, ist ihm peinlich. Also schweigt er im Unterricht oder spricht mit seinem Sitznachbarn Ali auf Türkisch. Muhammad und seine Geschichte sind frei erfunden. Aber Jugendliche wie ihn gibt es überall in Deutschland. Sie wohnen in Stadtvierteln, in denen mehr die Muttersprache als Deutsch gesprochen wird, und sie besuchen Schulen, in denen es kaum deutsche Schüler gibt. Denn diese gehen lieber auf andere Schulen. Bildungsexperten haben dafür einen Fachbegriff geprägt: „Bildungssegregation“. „Segregation“ bedeutet „Trennung“, hier also die Trennung von Schülern nach sozialer und ethnischer Herkunft. An Schulen wie der Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Bonn bemüht man sich, die Kinder, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, besonders zu fördern. Mehr als ein Drittel der rund 1400 Schüler haben einen „Migrationshintergrund“, sind also Nachkommen von Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind. Einige dieser Schüler leben noch nicht lange in Deutschland, andere sind hier geboren, sprechen aber zu Hause mit ihren Eltern überwiegend in der Muttersprache. Die Bertolt-Brecht-Gesamtschule reagiert darauf, wie Schulleiter Reinhold Pfeifer erläutert, so:

Reinhold Pfeifer:
„Das heißt für uns, dass wir sofort in den Klassen 5 und 6 beginnen mit erweiterten Förderungen mit der deutschen Sprache. Wir machen das so, in den Klassen 5 und 6, dass wir jeweils im Deutschunterricht auf verschiedene Stunden zwei Kolleginnen beziehungsweise Kollegen setzen, die dann in einem sogenannten individuellen Förderunterricht – oder bei guten Schülern ‚Forderunterricht‘ – , einzelne Kinder während des Deutschunterrichts aus der Klasse herausholen, und mit drei, vier, fünf Kindern ‘ne eigene Lerngruppe bilden.”

Sprecher:
Bereits in den ersten beiden Klassen der weiterführenden Schule, den Klassen 5 und 6, beginnt die Förderung im Deutschunterricht. In bestimmten Unterrichtstunden werden zwei Lehrerinnen oder Lehrer eingeteilt. Sie werden – wie es Reinhold Pfeifer formuliert – auf Stunden gesetzt. Die Zusatzlehrerinnen und -lehrer geben den Schülern, die Schwierigkeiten in Deutsch haben, Zusatzunterricht in einer eigenen Lerngruppe. Und die Schüler, die gut sind, werden zusätzlich gefordert, indem sie beispielsweise entsprechende anspruchsvolle Lernaufgaben bekommen. Reinhold Pfeifer prägt dafür den Begriff „Forderunterricht“. Neben dem speziellen Deutsch-Förderunterricht bietet die Bertolt-Brecht-Gesamtschule auch eine sogenannte „Internationale Klasse“ an. Hier gibt es – wie Schulleiter Reinhold Pfeifer erläutert – eine Besonderheit:

Reinhold Pfeifer:
„Dort kommen Kinder hin, ich sag’ mal grob, die eigentlich in die Jahrgänge 8 bis 10 kämen. Die sind aber alle zusammen in der Internationalen Klasse, in der fast kein Kind
Deutsch spricht. Wenn nach ein oder zwei Jahren die deutsche Sprache einigermaßen beherrscht wird, gehen diese dann in unser normales System.“

Sprecher:
An der Bertolt-Brecht-Gesamtschule gibt es viele Schülerinnen und Schüler, die überhaupt kein oder nur ganz wenig Deutsch sprechen. Sie kommen aus verschiedenen Ländern. Eigentlich würden sie von ihrem Alter her in die Mittelstufenklassen 8 bis 10 gehören. Weil Reinhold Pfeifer keine genaue Festlegung auf eine Klasse trifft, verwendet er das Adjektiv grob. In der Alltagssprache wird es gern gebraucht, wenn Zahlen nur geschätzt werden. Da diese Schülerinnen und Schüler sprachlich aber dem Unterricht noch nicht folgen können, werden sie erst einmal in einer eigenen Lerngruppe unterrichtet. Abhängig von ihren Deutschkenntnissen wechseln sie dann nach ein oder zwei Jahren in die entsprechenden Regelklassen, ins normale System. Für diese Schüler werden in den regulären Klassen 8, 9 und 10 immer ein paar Plätze freigehalten. Die Bildungsexpertin Diana Sahrai, die eine Professur an der Pädagogischen Hochschule FHNW im schweizerischen Windisch hat, findet diese Art der Förderung im Prinzip sinnvoll. Sie hat aber auch Bedenken:

Diana Sahrai:
„Das ist nicht nur sinnvoll, das ist notwendig, denke ich, weil die Schüler kommen dann in die Regelklasse und verstehen natürlich erst mal auch nichts. Ich bin allerdings skeptisch gegenüber einer zu langen Trennung von Schülern. Weil, man muss sich vorstellen, wenn solche Klassen beispielsweise länger als ein oder zwei Jahre gehen, dann sind ja diese Schüler, die alle kein Deutsch sprechen, unter sich und haben keinen Kontakt zu Schülern, die gutes Deutsch sprechen. Und dadurch lernen sie natürlich die Sprache auch weniger, als wenn sie quasi mit den anderen zusammen lernen würden.”

Sprecher:
Grundsätzlich sieht Diana Sahrai einen Vorteil darin, Kinder, die überhaupt kein Deutsch sprechen, in einer eigenen Lerngruppe zu unterrichten. Sie ist allerdings skeptisch, sie ist sich nicht sicher, ob es gut ist, wenn diese Schüler so lange aus der Regelklasse weg sind. Denn wenn diese Lerngruppen bis zu zwei Jahre gehen, andauern, sind die Schüler nur unter sich, haben also kaum die Möglichkeit, korrektes Deutsch zu lernen. Fortschritte in der deutschen Sprache sind sozusagen, quasi, schwieriger zu machen. Darüber hinaus gibt es zwei andere Faktoren, die in den Augen von Diana Sahrai fälschlicherweise miteinander verknüpft, durcheinandergebracht, werden:

Diana Sahrai:
„Es sind ja zwei Dimensionen. Es geht einmal um die Sprache an sich, Deutsch, Nichtdeutsch. Und das andere geht um den Leistungsstand. Und das wird sehr häufig durcheinandergebracht, weil beispielsweise es ja nicht bedeutet, dass ein Schüler der
Deutsch spricht, automatisch auch leistungsstark ist. Im Umkehrschluss heißt es ja nicht, dass ein Schüler, der kein Deutsch spricht oder nur gebrochen Deutsch spricht, auch leistungsschwach ist.”

Sprecher:
Für die Professorin werden das sprachliche Können und die schulische Leistung fälschlicherweise zueinander in Beziehung gesetzt. Diese Faktoren – sie bezeichnet sie als Dimensionen – hätten eigentlich nicht direkt etwas miteinander zu tun. Denn die Tatsache, dass jemand gar kein Deutsch kann oder fehlerhaft und langsam, gebrochen, spricht, bedeutet ihrer Meinung nach nicht, dass er schlechte Leistungen erbringt, dass er leistungsschwach ist. Auf der anderen Seite, im Umkehrschluss, müssen Schüler, die gut Deutsch sprechen, deshalb keine besonders herausragenden Schüler sein. In einer Studie schlagen Forscher des „Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ Schulen und Behörden vor, die kulturelle und soziale Vielfalt der Kinder mehr als Bereicherung, denn als Hemmnis zu sehen. Das könnte beispielsweise in der Lehrerfortbildung geschehen, in der Schule könnten etwa mehrsprachige Informationsabende für Eltern veranstaltet werden. Für Jungen wie Muhammad könnte diese „interkulturelle Öffnung“ ein Schritt in die richtige Richtung sein. Wenn sein Deutsch durch gezielte Förderung besser wird, und seine Lehrer neue Wege finden, ihn und seine Eltern gezielter zu erreichen, werden seine Zeugnisse in Zukunft besser aussehen.

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