Sprecher:

Arbeiterkinder im Studium

Viele, die aus einer „Arbeiterfamilie“ kommen, entscheiden sich aus unterschiedlichen Gründen nach der Schule nicht fürein Studium. Die Initiative „ will das ändern – mittels Information und Beratung.

Deutsche Universitäten stehen eigentlich allen offen, die die Hochschulreife besitzen. Wer studieren will, muss keine oder im internationalen Vergleich nur recht niedrige Studiengebühren bezahlen. Zudem gibt es die Möglichkeit einer staatlichen finanziellen Unterstützung während der Studienzeit. Dennoch entscheiden sich in Deutschland nur rund 25 Prozent der Kinder, deren Eltern keine Akademikersind, für ein Studium. Bei Akademikerfamilien sind es rund 70 Prozent. Für die geringe Zahl an Studierwilligen gibt es mehrere Gründe – zum Beispiel, dass Vorbilder in der eigenen Familie oder finanzielle Mittel fehlen. Zu denjenigen, die aus einer sogenannten Arbeiterfamilie stammen, gehört auch Katja Urbatsch. Sie gründete 2008 die Initiative „. Zu ihren Beweggründen sagt sie:

Katja Urbatsch:

„Ich bin selbst die Erste in meiner Familie, die studiert hat. Und hab’ eben selbst die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, sich dann für’n Studium zu entscheiden, wenn es noch keiner in der Familie gemacht hat. Und hab’ dann auch erlebt, wie schwierig es ist, erst mal ins Studium einzusteigen,und hatte da auch einige Hürdenzu überwinden. Und ich wollte einfach, dass es nach mir andere einfacher haben. Und deswegen wollte ich diese Information auf eine Internetseite stellen, und dann ist daraus einfach ’n Riesenprojekt geworden mit ganz vielen Ehrenamtlichen.“

Sprecher:

Für Katja Urbatsch stellte sich nach Ende der Schulzeit die Frage, ob sie überhaupt studieren sollte, denn in ihrer Familie gab es keine Akademiker. Noch vor Beginn ihres Studiums, vor dem Einstieg, mussten zudem Hindernisse, Hürden überwunden werden. So musste sie zum Beispiel die Frage klären, welche Voraussetzungen man für eine staatliche Unterstützung oder möglicherweise ein Stipendium erfüllen muss. Katja Urbatsch stellte fest, dass es sehr mühsam war, alle für einStudium notwendigen Informationen zu bekommen. Damit es andere, die ebenfalls aus Nicht-Akademikerfamilien kommen, leichter haben, entschloss sie sich, alle ihre gesammeltenInformationen im Internet allen zur Verfügung zu stellen. Die Internetseite „ war geboren. Schnell war die studentische Initiative sehr erfolgreich, sie wuchs, aus ihr wurde ein Riesenprojekt. Inzwischen sind viele Menschen, sogenannte Mentorinnen und Mentoren, unentgeltlich, ehrenamtlich, für die Initiative tätig. Zu ihnen gehören unter anderem Studentinnen und Studenten aller Semester, aber auch Hochschulabsolventen und professionelle Berater. Sie informieren direkt an den Schulen, in Sprechstundenin verschiedenen Städten oder sie beantworten Fragen, die sie etwa über E-Mail oder soziale Netzwerke erreichen. Sven aus Berlin ist einer dieser Mentoren. Auch er weiß – wieKatja Urbatsch –, welche Ängste es gibt, welche Fragen gestellt werden:

Sven:

„‚Meine Eltern können mir nicht helfen’, oder auch die Eltern denken, sie können nicht helfen. ‚Ich kann das nicht finanzieren’ – das sindalles so Punkte, wo eigentlich so diese geforderte Bildungsgerechtigkeiteinfach nicht hergestellt wird. Und genau in diese Bresche springt‚

Sprecher:

Sven kennt die Fragen, die sich Eltern und Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien stellen. In seiner Familie war er auch der Erste, der studierenwollte. Zu den Bedenken gehört die Befürchtung, dass die Eltern ihr Kind fachlich und finanziell nicht unterstützen können, weil sie zum Beispiel Handwerker sind. Laut Sven sollte in Deutschland aber eigentlich Bildungsgerechtigkeitherrschen. Das bedeutet, dass die Zugehörigkeit zueiner sozialen Gruppe, der familiäre Hintergrund und fehlendes Geld niemanden davon abhalten sollten, eine Hochschule zu besuchen. Ein Recht auf Bildung ist in der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, nicht ausdrücklich festgeschrieben; esgehört aber zu den Grundrechten der Menschenwürde und der Gleichberechtigung. Außerdem gibt es eine Schulpflicht. Das Internetportal „ versucht – wie es auf der Internetseite heißt –, allen „Schülern und Studenten, die als Erste in ihrer Familie einen Studienabschluss anstreben“ Hilfestellung zu geben. Es bietet das, was in dieser Form nicht angeboten wird. Es füllt die Lücke, springt in die Bresche, wie Sven es formuliert. Die Redewendung kommt ausder Militärsprache und bedeutet, in einer gefährlichen Lage eine Lücke mit seinem Körper auszufüllen, für jemanden einzuspringen. Katja Urbatsch vermutet, dass es vorher aus bestimmten Gründen ein derartiges Angebot noch nichtgab:

Katja Urbatsch:

„Diese Zielgruppe der sogenannten Nicht-Akademikerkinder oder der studierenden Akademiker der ersten Generation, die wurde vorher nicht erfasst. Und ich glaub’ viele, die auch betroffen sind, denen war vorher nicht so klar, dass es so viele andere gibt, denen es genauso geht. Man denkt dann immer, man ist der Einzige, dem es so geht. Aber dann stellt es sich heraus, das ist eigentlich ’n strukturelles Problem. Also, dass es eben daran liegt: ‚Ja, ich hab’ eben niemanden in meiner Familie, der ’n Vorbild ist und der mir sagen kann, wie das funktioniert, und der mir Sicherheit gibt, dass das der richtige Weg ist’.“

Sprecher:

Bis zu Beginn der 1990er Jahre konnte man noch nicht feststellen, wer aus seiner Familie der Erste war, der ein Studium begonnen hatte, wer zur ersten Generationder Akademiker zählte. Ihre Zahl wurde nicht erfasst. Außerdem dachten nach Ansicht von Katja Urbatsch die meisten Nicht-Akademikerkinder, sie seien ein Einzelfall und besorgten sich ihre Informationen selbst. Erst nach und nach stellte sich heraus, dass es sehr viele gab, die in der gleichen Lage waren, dass es sogar ein Problem des Aufbaus der Gesellschaft war, ein strukturellesProblem. Denn wie sollen ein Vater oder eine Mutter, die beispielsweise als Fabrik- oder Bauarbeiter ihr Geld verdienen, dem eigenen Kind mit Informationen weiterhelfen oder ihm ein Vorbild sein. Was Katja Urbatsch inzwischen besonders freut: Auch Politiker fragen sie manchmal um Rat, was sie für diese Zielgruppe noch verbessern können. Eine Antwort hat sie parat: Kinder aus bestimmten sozialen Gruppen müssten schon im Kindergarten und in der Grundschule entsprechend vorbereitet werden. Ihnen Deutsch zum Mitnehmen müsste vermittelt werden, dass es sich – wie es aufder Internetseite von „ heißt – „langfristig immer lohnt, in Bildung zu investieren“.  

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