Es ist ein Millionengeschäft in Deutschland: die „Nachhilfe“. Im Einzelunterricht oder in der Gruppe, zu Hause, in einer privaten Schule oder im Internet wird Schülern geholfen, das Klassenziel zu erreichen.

Sprecher:
Eine gute Ausbildung ist heutzutage wichtiger denn je, um später einmal bessere Aussichten auf eine Arbeit zu haben. Eltern tun alles dafür, damit ihre Kinder die Schule erfolgreich abschließen. Und wenn es mal nicht so gut läuft, wird eben „nachgeholfen“. Eine Studie, die von der deutschen Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde, stellte 2010 fest, dass 1,1 Millionen Schüler in Deutschland regelmäßig bezahlten Nachhilfeunterricht bekommen, auch schon in der Grundschule. Paul, der in Dortmund die achte Klasse eines Gymnasiums besucht, hatte als Grundschüler noch keine Probleme:

Paul:
„In der Grundschule war ich richtig gut, hatte eigentlich nur Einsen auf’m Zeugnis. Und dann die erste Arbeit auf dem Gymnasium war dann so ein bisschen...“

Sprecher:
Paul war es gewohnt, fast nur die Bestnote „Eins“ auf seinem Zeugnis stehen zu haben. Er hatte nur Einsen. Die erste Klassenarbeit, die er nach dem Wechsel aufs Gymnasium schrieb, entsprach dann nicht mehr der gewohnten Benotung. Für Eltern steht in solchen Fällen meist fest: Eine Nachhilfe muss her. Zu denjenigen, die Nachhilfeunterricht geben, gehört Stefan. Der Mathematikstudent betreut seit mehr als zehn Jahren Schülerinnen und Schüler. Er beobachtet, dass Schüler durch das sogenannte „G8“-System unter höherem Leistungsdruck stehen. Bei G8 wird das Abitur nach acht Jahren auf dem Gymnasium gemacht, anstatt, wie es in den westdeutschen Bundesländern vorher der Fall war, nach neun Jahren:

Stefan:
„Insbesondere durch die G8ter habe ich das Gefühl, momentan nimmt jeder Nachhilfe. Es kommt besonders in Mathe keiner mehr drum rum. Also, die Eltern suchen, die Eltern sind angewiesen auf Zeitungsanzeigen, auf eBay-Kleinanzeigen. Jeder muss irgendwo jemanden herbekommen, der Mathe einigermaßen erklären kann.“

Sprecher:
Der Bedarf an Nachhilfe ist groß, besonders in Mathematik. Schülern muss in dem Fach geholfen werden, sie kommen nicht drum rum, weil Mathematik zu den sogenannten Hauptfächern gehört. Dementsprechend gewachsen ist deshalb auch das Angebot. Institute oder private Nachhilfelehrer werben in sogenannten Kleinanzeigen, das sind einspaltige Anzeigen in der Zeitung, oder auf Internetplattformen wie eBay. Und wenn dann einmal ein guter Nachhilfelehrer oder eine gute Nachhilfelehrerin gefunden ist, sind Eltern häufig bereit, den Zusatzunterricht über mehrere Schuljahre hinweg zu bezahlen. Stefan nennt ein Beispiel:

Stefan:
„Die letzte Nachhilfe, die ich jetzt im Sommer aufgegeben habe aus Zeitgründen einfach, hatte ich sechs Jahre dann, von der 5. bis zur 11. Die ist aber einmal sitzengeblieben.“

Sprecher:
Die Schülerin beziehungsweise der Schülerin, die zu Stefan kam, nahm sechs Jahre Nachhilfe, wobei ein Schuljahr wiederholt wurde. Sie beziehungsweise er war sitzengeblieben. Weil der Student sich mehr seinem Studium widmen wollte und weniger Zeit hatte, gab er diesen Nachhilfeunterricht auf. Nachhilfe zu geben bietet nicht nur Studenten, sondern beispielsweise auch pensionierten Lehrern die Möglichkeit, Geld nebenbei zu verdienen. Stefan verlangte in der Regel zehn Euro die Stunde – ein Freundschaftspreis, da er alle bisherigen Schüler persönlich kannte. Preise von 25 oder 35 Euro die Stunde sind aber auch möglich. Der Bildungsforscher Klaus Klemm schätzt, dass in Deutschland etwa eine bis anderthalb Milliarden Euro jährlich in Nachhilfeunterricht investiert werden. Er steht dem sogenannten „grauen Unterricht“, also Unterricht, der privat, neben der Schule erteilt wird, kritisch gegenüber. Und das hat seinen Grund:

Klaus Klemm:
„Wenn ich auf das System gucke, dann ist es natürlich irgendwo auch ein Versagen des Gesamtsystems, wenn Eltern zusätzlich Geld in die Hand nehmen müssen und Kinder und Schüler und Jugendliche zusätzlich Zeit, um das zu erreichen, was eigentlich die Schule erreichen sollte. Also, dass wir ein System haben, in dem die Frage, ob ich denn am Ende meine Noten so verbessern kann, dass ich nicht sitzenbleibe oder dass ich eine Übergangsempfehlung, die ich haben möchte, bekomme, wenn das davon abhängt, ob die Elternhäuser finanzstark genug sind, das zu finanzieren, dann ist das hart an der Grenze der Verfassungsgemäßheit.“

Sprecher:
Klaus Klemm findet, dass Nachhilfeunterricht eigentlich nicht notwendig wäre, wenn die Schule das leisten würde, was ihre Aufgabe ist: Kindern und Jugendlichen den Lernstoff so zu vermitteln, dass sie alles verstehen. Das System habe hier nicht funktioniert, es habe versagt. Außerdem sieht Klaus Klemm ein weiteres Problem: Eltern müssten für Nachhilfe bezahlen, sie müssten Geld in die Hand nehmen, damit beispielsweise schon Grundschüler eine bestimmte Empfehlung zum Übergang auf eine weiterführende Schule erhalten. Diese, auch Lehrerempfehlung genannte, schriftliche Stellungname der Grundschule ist in einigen deutschen Bundesländern für den Besuch eines Gymnasiums oder einer Realschule verpflichtend. In anderen Bundesländern dient sie Eltern und der aufnehmenden Schule lediglich als Hilfestellung, um die Leistung der Schülerin oder des Schülers beurteilen zu können. Wenn allerdings nur die Kinder Nachhilfe bekommen können, deren Eltern sich das auch leisten könnten, die finanzstark genug sind, ist das für Klaus Klemm beinahe ein Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz. Es ist, wie er es ausdrückt, hart an der Grenze der Verfassungsgemäßheit. So verbietet Artikel 3 des Grundgesetzes unter anderem Menschen beim Erwerb von Bildung zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Was genau könnte im deutschen Bildungssystem nach Meinung von Klaus Klemm also verbessert werden?

Klaus Klemm:
„Es gibt die Aufforderung an das Bildungssystem insgesamt, die Unterstützungen, die Schüler und Schülerinnen benötigen, um die schulischen Leistungen zu erbringen, stärker im System selbst anzubieten – also Förderunterricht in der Schule. Es wird ja sehr stark drauf gesetzt, dass die Ganztagsschule da dann in der nachmittäglichen Betreuung – Hausaufgabenbetreuung und so weiter– vor allen den Kindern, die das nicht zu Hause erreichen können, hilft. Bisher haben wir allerdings keine Befunde, die das bestätigen.“

Sprecher:
Der Bildungsexperte meint, dass Schulen über den normalen Unterricht hinaus sogenannten Förderunterricht erteilen sollten. Schülerinnen und Schüler, die in bestimmten Fächern Probleme haben, bekommen von den Lehrern dann nach Schulschluss am Nachmittag zusätzliche Hilfe. Die verantwortlichen Bildungspolitiker, so Klaus Klemm, würden darauf hoffen, darauf setzen, dass die Ganztagsschule das leisten könne. Ganztagsschulen bieten, wie der Name sagt, Unterricht oder andere Angebote bis in den Nachmittag an. Diese werden von der Schule oder in Zusammenarbeit mit der Schule organisiert. Keinen Beweis gibt es laut Klaus Klemm jedoch dafür, dass die Ganztagsschule so wie sie bisher existiert, den Schüler hilft. Der Bildungsforscher verwendet in diesem Zusammenhang das eher in der Medizinsprache gebräuchliche Wort „Befund“. Erhält ein Patient einen Befund, bekommt er das Ergebnis einer medizinischen Untersuchung mitgeteilt. Hat Paul der zusätzliche Mathematikunterricht geholfen?

Paul:
„Mal so, mal so. Mal schlechte Noten, dann mal wieder ‘ne gute, also ja und nein.“

Sprecher:
Pauls Mathe-Zensuren haben sich nicht wesentlich verbessert. Nach eineinhalb Jahren hörte er mit der Nachhilfe auf. Seine Eltern fanden jahrelangen Zusatzunterricht übertrieben. Wer Nachhilfeunterricht nimmt, hat also keine Garantie, dass sich seine Schulnoten wirklich verbessern.

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