In ländlichen Regionen sinkt die Einwohnerzahl – mit entsprechenden Konsequenzen für die verbliebenen Bewohner. Wissenschaftler suchen nach Konzepten, um die Nahversorgung sowie die Infrastruktur zu verbessern.

Sprecher:
Eineinhalb Stunden für 16 Kilometer. Das ist in ländlichen Regionen Deutschlands nichts Ungewöhnliches – zumindest dann, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bahn oder Bus unterwegs ist. Rolf Becker, Professor an der Hochschule Rhein-Waal in Nordrhein-Westfalen, braucht diese Zeit für die 16 Kilometer, um zum Campus in Kleve zu fahren. Rolf Becker gehört noch nicht zu denjenigen, die „Landflucht“ begehen, also ihren Wohnort verlassen und in die Großstadt ziehen. Das Problem veranlasste im Herbst 2013 das privatfinanzierte „Berlin-Institut für Bevölkerung“, eine Studie zu den Gründen und Folgen von „Landflucht“ zu erstellen. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass eine der wichtigsten Ursachen die sinkende Geburtenrate ist, so dass der Wegzug vom Land nicht ausgeglichen werden kann. Und das hat Folgen für die Infrastruktur – wie Institutsdirektor Reiner Klingholz erklärt:

Reiner Klingholz:
„Weil weniger Leute da sind, schließen ja die Postämter, die Bankfilialen, der Bus fährt nicht mehr, die Ämter machen dicht, der Arzt ist nicht mehr da und so weiter. Und aufgrund der schlechter werdenden Infrastruktur, gerade wenn Schulen schließen, werden junge Leute mit Kindern, also Familien, verstärkt in die Zentren getrieben.“

Sprecher:
Eine Folge der geringen Einwohnerzahlen ist, dass viele Leistungen nicht mehr angeboten werden. Gab es früher in stadtnahen Orten noch Postämter, machte die Deutsche Post sie nach und nach dicht, schloss sie. Sie waren nicht mehr rentabel, lohnten sich nicht. Wenn dann auch noch Schulen schließen, Kinder einen weiten Schulweg in die nächstgrößere Stadt haben, ist der ländliche Raum für viele Familien mit Kindern nicht mehr attraktiv. Sie ziehen vermehrt dahin, wo die Infrastruktur vorhanden ist, sie werden in die Zentren getrieben. Die Untersuchung des Instituts ergab zudem, dass junge Leute zum Studium direkt in die Städte ziehen und nach dessen Ende meist auch dort wohnen bleiben. In
der Studie fordert das Berlin-Institut Konzepte, die an die künftige demografische Entwicklung in Deutschland angepasst sind. An der Hochschule Rhein-Waal wurde dieser Vorschlag aufgegriffen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wird ein Konzept erarbeitet. Zum Modellprojekt wählten die Wissenschaftler und Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen Grieth, den Ort, an dem Hochschulprofessor Rolf Becker und seine Familie wohnen. Die frühere Hansestadt Grieth, die inzwischen zur Stadt Kalkar gehört, hat nur noch etwa 1000 Bewohner. Ziel des Forschungsprojekts „Smart Villages“ ist es, Lösungen zu entwickeln, wie das Leben auf dem Land in Zukunft aussehen könnte. Unterteilt ist das Gesamtprojekt in drei Teilprojekte – mit den entsprechenden Arbeitsschwerpunkten, wie Rolf Becker erläutert:

Rolf Becker:
„Also, erst mal gucken, was gibt’s hier vor Ort, was gibt es nicht vor Ort? Was wünscht sich die Bevölkerung? Wo ist die Not am größten? Zweiter Arbeitsschwerpunkt ist Nahversorgung, also zum Beispiel ein Dorfladen, aber es gibt natürlich auch andere Konzepte. Und der dritte Punkt ist Mobilität.“

Sprecher:
Zu Beginn machen die Wissenschaftler und Studierenden – wie in einem Unternehmen – eine Bestandsaufnahme. Dabei interessiert sie unter anderem auch, was den Bewohnern sehr stark fehlt, wo die Not am größten ist. Zweiter Bestandteil des Projekts ist die Frage, wie sich die Bewohner mit lebensnotwendigen Gütern versorgen können, wie die Nahversorgung aussehen könnte. Wäre hier etwa ein Dorfladen sinnvoll oder beispielsweise ein Lebensmittelfahrzeug, das an festgelegten Tagen kommt? Der dritte Arbeitsschwerpunkt ist die Frage, wie beweglich, mobil, die Bewohner sind, ob sie beispielsweise Autos besitzen oder auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Interessant war auch die Frage, wie das Zusammenleben mit Blick auf die Zukunft gestaltet werden kann. Das Stichwort lautet „Bürgergenossenschaft“. Rolf Becker erklärt, was das beinhaltet:

Rolf Becker:
„Da geht‘s ja darum, dass jüngere Menschen älteren helfen oder ältere sich untereinander helfen und man als Währung sozusagen für diese Hilfe so ‘n Arbeitszeitkonto aufbaut. Also, zum Beispiel ein älterer Mensch, der noch mit seinem Auto fahren kann, könnte einem anderen beim Einkaufen helfen und der, dem beim Einkaufen geholfen wird, mäht dafür den Rasen.

Sprecher:
Das Genossenschaftsmodell existiert in Deutschland schon seit dem Mittelalter. Hier betreiben Menschen, die ein wirtschaftliches, kulturelles oder soziales Ziel verfolgen, gemeinschaftlich ein Unternehmen. Jeder kann einer Genossenschaft beitreten. Ziel einer Bürgergenossenschaft in Grieth wäre, dass die Bewohner sich gegenseitig helfen. Für die jeweiligen Leistungen, die erbracht würden, würde kein Geld bezahlt. Als Währung, also als eine Art Bezahlung, würden die geleisteten Arbeitsstunden gelten. Sie würden in sogenannten Arbeitszeitkonten erfasst. Dieses Modell ist bereits in vielen deutschen Behörden und Unternehmen üblich. Zu viel beziehungsweise zu wenig geleistete Arbeitsstunden werden in einem Arbeitszeitkonto erfasst. Bei einer „Bürgergenossenschaft“ würde der Ausgleich des Kontos auch auf eine besondere Art und Weise erfolgen, wie Rolf Becker erläutert:

Rolf Becker:
„Es ist eigentlich auch generationsübergreifend gedacht, dass jüngere Menschen also älteren helfen, dass sie dieser Genossenschaft beitreten, dann in dieser Hilfe so ‘n Arbeitszeitkonto aufbauen. Und wenn sie dann selber später bedürftig sind, dieses Arbeitszeitkonto sozusagen aufzehren können und damit Dienstleistungen bezahlen können innerhalb dieser Genossenschaft, die sie dann selbst benötigen.“

Sprecher:
Das Besondere des Bürgergenossenschaftsmodells wäre, dass sich nicht nur Angehörige einer Generation untereinander helfen, sondern dass jüngere für ältere Menschen da wären. Es wäre eine generationsübergreifende Hilfe. Die jüngeren könnten dann viele Plusstunden auf ihrem Arbeitszeitkonto sammeln. Und wenn sie selbst einmal alt und auf Hilfe angewiesen, bedürftig, wären, könnten sie diese Plusstunden aufzehren, sie wie etwas Essbares aufbrauchen. Professor Rolf Becker, der selbst gerne auf dem Land wohnt, findet, dass man für alle Überlegungen offen sein soll. Seinen Wohnort sieht er als Projekt, das Vorbildcharakter haben soll.

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