Nur wenige deutsche Jugendliche interessieren sich nach Erkenntnissen von Forschern für eine politische Karriere. Eine aktive Mitarbeit in einer Partei können viele sich auch nicht vorstellen. Es gibt aber Ausnahmen.

Sprecherin:
Hao Vu ist Anfang 20, hat vietnamesische Wurzeln und arbeitet in seiner Freizeit bei der Freiwilligen Feuerwehr von Bernkastel-Kues, einer Stadt an der Mosel in Rheinland-Pfalz, mit. Er kennt sich damit aus, anderen Menschen zu helfen. Der Wunsch, auch bei der Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft mitzumachen, war seine Motivation für ein politisches Engagement. 2010 trat er in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die SPD, ein. Im Rahmen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Feuerwehr ist ihm nämlich etwas aufgefallen:

Hao Vu:
„In der Feuerwehr habe ich gemerkt, dass doch Politik sehr wichtig ist. Weil Träger der Feuerwehr ist meine Gemeinde Bernkastel-Kues. Und die entscheidet über unser Budget. Da habe ich dann doch sehr schnell gemerkt, dass doch die Politik das Sagen hat, und dass die bestimmt, wie wir zu leben haben, was wir für Rechte und was für Pflichten haben.“

Sprecherin:
Hao Vu hat im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr festgestellt, dass diese nicht unabhängig ist. Politiker haben das Sagen, sie bestimmen, – unter anderem über das Budget, also das Geld, das die Feuerwehr für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung hat. Die Freiwillige Feuerwehr ist eine öffentliche Institution, ihr „Chef“, also ihr Träger, ist die jeweilige Gemeinde oder der jeweilige Ort. Hao Vu hatte zu Beginn seines politischen Engagements zunächst Bedenken, wie er erzählt:

Hao Vu:
„Ich hatte Angst gehabt, als ich der Politik beitrat, dass man mich nicht ernst nehmen würde. Aber ich habe sehr schnell festgestellt, dass mein Aussehen, meine Herkunft, keine Rolle spielt in der Partei.“

Sprecherin:
Hao Vu stellte fest, dass seine Ängste grundlos waren. Er wurde von seinen Parteikollegen akzeptiert. Hao Vu nimmt aktiv an der Parteiarbeit teil, liest Gesetzesvorlagen, beteiligt sich an Parteisitzungen. Sein politisches Engagement organisiert er verstärkt auch über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter. Für viele seiner älteren Parteikollegen gilt das nicht als Parteiarbeit im engeren Sinne. Für Hao Vu ist es dagegen die Zukunft. – Jemand wie er ist inzwischen eine große Ausnahme, da sich viele Jugendliche nicht mehr in Parteien engagieren wollen. Die traditionellen Formen politischen Engagements erreichen nach der Meinung des Sozial- und Bildungsforschers Klaus Hurrelmann auch oft nur eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen:

Klaus Hurrelmann:
„Politikinteresse zu haben, politisch aktiv zu sein, heißt heute automatisch, auch ‘ne gute Bildung zu haben, persönlich sehr stark zu sein und sehr souverän im sozialen Umfeld auftreten zu können.“

Sprecherin:
Wer heute politisch arbeitet, hat laut Klaus Hurrelmann fast immer eine gute schulische Ausbildung. Außerdem bringt er besondere Fähigkeiten mit: Er ist souverän im Auftreten, zeigt also ein ruhiges, wohlüberlegtes Verhalten und lässt sich nicht leicht verunsichern. Fragt man Jugendliche wie Christopher und Mora, ob sie sich vorstellen können, Politiker zu werden, bekommt man diese Antworten:

Christopher / Mora:
„Selber Politiker möchte ich nicht sein, aber ich gucke gerne zu, wie andere Menschen versuchen, was umzusetzen. / Also, ich würde nicht so gerne da arbeiten, weil so viele Politiker nehmen sich was vor oder sagen etwas, was sie nicht einhalten können.“

Sprecherin:
Christopher interessiert sich gar nicht für eine politische Karriere, schaut aber gerne zu, wenn andere diesen Wunsch realisieren, in die Tat umsetzen. Ähnlich ergeht es Mora. Sie begründet ihre Ablehnung mit einer generellen Enttäuschung über das Verhalten von Politikern. So würden diese Vorhaben nicht durchführen oder gegebene Versprechen nicht einlösen, sie nicht einhalten. Doch auch wenn sich viele junge Menschen nicht für Parteien und Politiker interessieren, sind sie keineswegs unpolitisch. Ein Beispiel dafür ist die „Occupy“-Jugendbewegung, die unter anderem gegen die Globalisierung protestiert. Laut Klaus Hurrelmann zeigen Studien sogar, dass die Mehrheit der jungen Menschen Demokratie grundsätzlich befürwortet. Auf der anderen Seite sieht er aber auch eine Entwicklung, die ihm Sorgen bereitet:

Klaus Hurrelmann:
„Die Studien zeigen aber auch eine Minderheit – und die wächst langsam an –, die kann gar nichts mit Politik anfangen, hat eine riesige Distanz den Parteien gegenüber, glaubt, dass die nicht für sie selbst eintreten und stellt sogar – Schritt um Schritt mehr, von Jahr zu Jahr – Demokratie als Staatsform und als Lebensform in Frage. Das ist bedrohlich, das ist eine gefährliche Entwicklung.“

Sprecherin:
Noch sind sie eine Minderheit: diejenigen, die überhaupt kein Interesse an der Politik haben, nichts mit ihr anfangen können. In dieser Gruppe ist laut Klaus Hurrelmann der innere Abstand, die Distanz, zu politischen Parteien sehr groß. Die jungen Menschen sind der Meinung, Politiker würden ihre Interessen nicht vertreten, nicht für sie eintreten. Bedrohlich findet er allerdings die Tatsache, dass sich einige fragen, ob die Demokratie als politisches System überhaupt noch Sinn macht. – Im Deutschen Bundestag gibt es Abgeordnete, die versuchen, etwas gegen die Politikverdrossenheit der Jugend zu tun. Zu ihnen gehört der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter. Unter anderem lädt er Schüler jedes Jahr ins Parlament ein. Er wirbt für die Demokratie, erklärt, wofür sie gut ist und warum es sich lohnt, sich politisch zu engagieren und kritisch nachzufragen. Manchmal ist er erfolgreich, aber nicht immer. Das führt er auf einen bestimmten Grund zurück:

Roderich Kiesewetter:
„Wir haben ja heute eher die Kultur des Anschauens, des Konsumierens. Aber Demokratie lebt nicht von Facebook oder von Anschauen und Konsumieren, sondern von der aktiven Teilhabe, also der Entscheidung, mach’ ich mit oder mach’ ich nicht mit. Und wenn ich mitmache, mit welchen Ideen bringe ich mich ein.“

Sprecherin:
Jugendliche haben, so Roderich Kiesewetter, heutzutage andere Interessen, als sich aktiv in der Politik zu engagieren. Es herrsche eine Kultur des Anschauens. Im Vordergrund stehe, Dinge passiv zu konsumieren, aufzunehmen, oder sich beispielsweise über soziale Netzwerke mit anderen zu unterhalten. Demokratie bedeutet jedoch, dass man sich aktiv einbringen muss, um sie zu festigen beziehungsweise weiterzuentwickeln. Nichts anderes tut Hao Vu. So wirbt er beispielsweise nicht nur auf Parteisitzungen, sondern auch bei Partys für mehr gesellschaftliche Toleranz. Worte wie Politik- oder gar Parteienverdrossenheit sind für ihn Fremdworte. Und ein Ziel hat er fest vor Augen:

Hao Vu:
„Also, wenn ich die Möglichkeit hätte, Minister zu werden, dann sehr gerne. Und am Liebsten wäre ich dann Innenminister oder Landwirtschaftsminister.“

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