Sie sind Wissenschaftler, haben promoviert und wollen an der Hochschule bleiben. Da es nur wenige feste Professorenstellen gibt, arbeiten sie mit Zeitverträgen. Das hat Nachteile – für sie selbst und die Hochschulen.

In Deutschland gibt es rund 200.000 Doktoranden, also Nachwuchswissenschaftler, die an ihrer Doktorarbeit schreiben. Etwa 80 Prozent von ihnen arbeiten an einer Hochschule oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung, wie zum Beispiel bei den Helmholtz- oder Max-Planck-Instituten. Doch die meisten, besonders Doktoranden in den Geistes- oder Sozialwissenschaften, bekommen oft nur Stellen mit bis zu 20 Wochenstunden oder befristete Verträge, sogenannte Zeitverträge, unter einem Jahr. Eine langfristige Karriere- und Familienplanung ist so kaum möglich. Mancher allerdings geht diesen Weg erst mal – so wie Wiebke, die ihre Doktorarbeit im Fachbereich Psychologie schreibt:

„Erst mal war es so, dass ich mich, weil ich gerne wissenschaftlich arbeiten wollte und ‘ne Doktorarbeit schreiben wollte, bewusst entschieden hab, diesen unsicheren Weg zu gehen. Und irgendwann verfällt man in so ‘ne Situation, wo man sich sagt: ‚Ich muss das jetzt aushalten, dass ich nicht weiß, wie es in einem Jahr weitergeht.“

Wiebke hat an der Universität Bielefeld eine 25-Prozent-Stelle, unterrichtet also etwa zehn Stunden pro Woche und übernimmt kleine Aufgaben am Lehrstuhl. Obwohl das nicht viel ist, hat sie sich irgendwann gesagt, dass sie das so akzeptieren muss. Sie ist in so eine Situation verfallen, das aushalten zu müssen. Denn sie wusste nicht, was die Zukunft noch bringt, wie es weitergeht. Zusätzlich finanziert sie sich mit einem Stipendium. Doch das endet bald – und Wiebke weiß noch nicht, was danach kommt:

„Ich hab Glück mit meiner Chefin. Die ist sehr bemüht darum, uns alle weiter zu finanzieren, uns allen Möglichkeiten zu geben, aber selber gefangen darin, dass sie Anträge für Forschungsprojekte schreibt. Die werden dann manchmal bewilligt, manchmal werden sie nicht bewilligt, und vor allem weiß man nie genau, wann sie bewilligt werden und ob es halt zwischendurch Lücken gibt.“

Selbst wenn Professorinnen und Professoren bereit sind, ihre Doktoranden weiter zu beschäftigen, sind sie selbst wiederum abhängig davon, dass sie Aufträge für Forschungsprojekte bekommen. Sie sind darin gefangen, redensartlich „sind ihnen die Hände gebunden“. Sie müssen Anträge für Forschungsprojekte stellen, diese begründen und darauf hoffen, dass dem jeweiligen Antrag zugestimmt, dass er bewilligt wird. Eine wichtige Rolle spielt auch die Zeit. So kann eine Lücke entstehen, wenn ein Projekt endet und ein neues noch nicht bewilligt wurde. Und nach der Promotion nimmt der Druck nicht ab. Die befristeten Beschäftigungsverhältnisse gehen weiter – oft noch viele Jahre, bis die eine oder der andere eine der wenigen Stellen als Professor erhält. Manche halten das nicht aus und wechseln an eine Hochschule im Ausland. Auch Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, dem Gesamtverband der Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, meint, dass die Bedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland nicht zufriedenstellend sind:

„Die Karrierewege sind unsicher, weil Zeitvertrag auf Zeitvertrag folgt – mit immer kürzeren Laufzeiten. Es gibt ja Daten, die zeigen, dass mittlerweile über die Hälfte der Verträge eine Laufzeit von nicht mal einem Jahr hat. Und zusammengenommen werden Karrierewege unattraktiver für qualifizierte Leute – auch im Vergleich zur Wirtschaft oder zum Ausland. Und außerdem ist eben das große Problem, dass auch die Kontinuität von Forschung und Lehre darunter leidet, wenn man nach dem ‚Hire-und-fire‘-Prinzip dann immer die Leute auswechselt, schon nach wenigen Monaten womöglich.“

Die unsicheren Beschäftigungsbedingungen haben Nachteile – nicht nur für die Nachwuchswissenschaftler selbst, sondern auch für die Hochschulen. Denn die Verträge haben immer kürzere Laufzeiten, gelten also nur für einen kurzen Zeitraum wie ein paar Monate. Das hat zur Folge, dass oft neue Nachwuchswissenschaftler beschäftigt werden, die die Hochschulen oft auch weniger Geld kosten als erfahrene Kräfte. Es wird nach dem Prinzip „hire und fire“ gehandelt. Die negativ besetzte englische Wendung „hire and fire“ bedeutet, dass zunächst Personal beschäftigt und dann gekündigt wird. Und so wie es für ein Fußballspiel nicht gut wäre, wenn ständig Spieler ausgewechselt würden, ist das auch an einer Hochschule: Die Kontinuität bei Forschungsprojekten und bei Lehrveranstaltungen leidet. Denn neue Leute müssen sich erst einmal einarbeiten. Und wenn sie sich dann mit dem Projekt und ihren Studenten vertraut gemacht haben, müssen sie oft wieder gehen, weil der Zeitvertrag endet und es keinen neuen gibt. Um an diesem Zustand etwas zu ändern, führte die Technische Universität München 2012 das im angelsächsischen Raum bewährte sogenannte „Tenure-Track-Verfahren“ ein. Dabei bekommen Nachwuchswissenschaftler kurz nach ihrer Promotion für sechs Jahre eine Stelle als „Assistant Professor“ mit festem Gehalt. Machen sie ihre Arbeit gut, steigen sie auf zum „Associate Professor“. Diese Stelle ist dann unbefristet und ein Aufstieg zum Professor ist möglich. Obwohl es bei dem Modell mehr finanzielle Sicherheit als bisher gibt, hat man zumindest in den ersten sechs Jahren noch keine Garantie auf eine Festanstellung. Und das würde einen doch in seiner Entscheidung beeinflussen, meint Doktorandin Wiebke:

„Wenn ich die Möglichkeit hätte, relativ zeitnah auf ‘ne Stelle zu kommen, wo ich weiß, ich kann da bleiben und kann hier auch über so etwas wie Familiengründung nachdenken und kann auch mir sicher sein, dass es weitergeht, würde [das] meine Entscheidung ganz stark positiv dahin zu beeinflussen, im System zu bleiben.“

Bekäme Wiebke die Möglichkeit, ziemlich bald, zeitnah, eine Festanstellung an einer Universität zu bekommen, würde sie im Hochschulsystem bleiben und sich nicht nach einer anderen Stelle umgucken. Unterhalb des Professors gibt es allerdings kaum feste Stellen. Die Ebene von festen Mitarbeitern, die Lehr- oder Forschungsaufgaben übernehmen, fehlt in Deutschland fast komplett. Solche oder andere Stellen werden aber gebraucht, sagt Andreas Keller:

„Da muss eine Universität ‘ne klare Ansage machen, wenn sie ‚Postdoc‘-Leute rekrutiert, dass die dann auch ‘ne Perspektive bekommen, an dieser Uni bleiben zu können nach der Postdoc-Phase. Die müssen dann nicht alle zwingend Professoren werden, die können aber auch andere Karriereoptionen beispielsweise angeboten bekommen, also etwa ‘ne entfristete Assistenzprofessur. Aber es muss diese Perspektive da sein.“

Stellt eine Hochschule promovierte Wissenschaftler befristet ein, rekrutiert sie, sollte diesen „Postdoktoranden“ eine klare Ansage über ihre Perspektive gemacht werden. Ihnen muss deutlich gesagt werden, welche Zukunftsaussichten sie haben. Dazu muss laut Andreas Keller nicht gehören, dass sie sicher eine Professorenstelle bekommen. Es muss nicht zwingend sein. Aber es könnte eine Assistenzprofessur sein, die keine festgelegte Dauer hat, die entfristet ist. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat im Januar 2015 einen Entwurf für ein neues Gesetz zur Beschäftigung von Postdoktoranden vorgelegt. Denn schließlich ist es im Interesse aller. Universitäten müssen im Wettbewerb mit Unternehmen um die besten Leute mithalten. Der Beruf des Wissenschaftlers muss also attraktiver gestaltet werden.

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