Weltweit fliehen Menschen vor Krieg oder Unterdrückung oder werden vertrieben. Die Aufnahme in der neuen Heimat ist nicht immer gut, die Integration fällt oft schwer. Das war auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges so.

Etwa 60 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht – so viele wie noch nie. Auch Deutschland erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg, was Flucht und Vertreibung bedeuteten. Etwa zwölf Millionen deutschstämmige Flüchtlinge verloren ihre Heimat und kamen in das vom Krieg zerstörte Land. Denn die Siegermächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich hatten auf der Potsdamer Konferenz eine Neuordnung Europas beschlossen. Dabei wurden unter anderem die zukünftigen Staatsgrenzen Deutschlands und der früheren sogenannten Ostgebiete festgelegt: Die damalige Sowjetunion erhielt Gebiete im Osten Polens, Polen wiederum ehemals deutsche Regionen – wie zum Beispiel Teile Ostpreußens und Schlesiens, Westpreußen und Pommern. Die Tschechoslowakei bekam Teile Böhmens. Zu den deutschstämmigen Flüchtlingen gehörte auch die Familie von Werner Krokowski. Sie musste Ostpreußen verlassen und kam im Spätsommer 1945 nach langer Flucht im niedersächsischen Städtchen Helmstedt an. Zunächst nahmen Verwandte die siebenköpfige Familie auf, bevor sie in ein sogenanntes Durchgangslager ins etwa 50 Kilometer entfernte Salzgitter-Watenstedt kam. Werner Krokowski erinnert sich:

„Wir kamen dann im November um Mitternacht an. Da war ein großer Raum, der Fußboden war mit Stroh ausgelegt. Da konnten wir schlafen. Und da war es auch noch nicht mal so dolle warm, oder was. Und dann wurde man noch entlaust und gemacht und getan. Und dann wurde man in andere Baracken verlegt, die auch da in der Nähe waren.“

Durchgangslager waren darauf ausgerichtet, dass Flüchtlinge dort nur vorübergehend blieben. Die Zustände waren nicht gut. Es gab keine Betten, und es war auch – wie Werner Krokowski mundartlich sagt – nicht so dolle, nicht besonders, warm. Aber bevor die Flüchtlinge in das Lager durften, wurde gemacht und getan. Werner Krokowski beschreibt damit, was mit den Neuankömmlingen geschah, die zerrissene, alte Kleidung trugen, ungewaschen und abgemagert waren. So wurden sie beispielsweise von Kopf- und Körperläusen befreit, entlaust. Werner Krokowski und seine Familie blieben nicht lange in dem Durchgangslager, sondern wurden in Baracken gebracht, verlegt. Diese Baracken waren oft Lager, die während des Hitler-Regimes für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene gebaut worden waren. Zu der schlechten Wohnsituation kam hinzu, dass die einheimische Bevölkerung die Neuankömmlinge oft nicht akzeptierte. Menschen, die aus Polen kamen, wurden als „Polacken“ beschimpft oder „Schmarotzer“ genannt, also als Menschen bezeichnet, die auf Kosten anderer leben. Und die Flüchtlinge mussten sich um ihr Überleben kümmern, wie Werner Krokowski erzählt:

„Wir haben doch alle nichts gehabt! Das Leben bewegte sich damals so, es ging nur: ‚Was machen wir heute zu essen? Wo kriegen wir was zu essen her?‘ Ich bin sogar betteln gegangen. Ich bin in die anderen Lager gegangen als Kind, wo die Letten wohnten, die Rumänen wohnten, die Polen wohnten. Und da hab ich immer gebettelt, weil die von den Engländern versorgt wurden. Die Deutschen wurden nicht versorgt groß. Die bekamen Milchpulver, Eipulver, Kekse, schönes Weißbrot, alles Mögliche. Das haben wir alles gar nicht gehabt.“

Weil er Hunger hatte, ist Werner Krokowski in andere Lager gegangen, um zu betteln. Denn in diesen Lagern waren Flüchtlinge etwa aus Lettland, Rumänien und Polen untergebracht, die von der britischen Besatzungsmacht, den Engländern, besser versorgt wurden. Die deutschstämmigen Vertriebenen wurden nicht groß versorgt, sie erhielten nur das Notwendigste zum Essen und Trinken. Die Flüchtlinge und Vertriebenen blieben in den Lagern und Wohnsiedlungen, die nach und nach entstanden, meist unter sich. Werner Krokowski dagegen suchte den Kontakt zu Einheimischen. Er ging wieder in die Schule, saß dort neben Kindern aus Schlesien oder Pommern genauso wie neben einheimischen. Seinen ostpreußischen Dialekt gab er auf und lernte Hochdeutsch. Den Kindern der deutschstämmigen Flüchtlinge fiel die Eingewöhnung in die neue Gesellschaft meist leichter als den Erwachsenen – es sei denn, sie bemühten sich selbst darum. Hier boten sich einige Möglichkeiten, wie die Historikerin Marita Krauss von der Universität Augsburg sagt:

„Ein wichtiger Integrationsfaktor war, wenn man in Vereine ging, also beispielweise im Kirchenchor mitsang, oder aktiv wurde in der Kirchengemeinde, oder im Sportverein – das war auch eine ganz wichtige Geschichte. Bis heute ist es so, dass, wenn jemand gute Tore schießt, dann kann er kommen, woher er mag, er ist gern gesehen. Und dann natürlich die Arbeit. Man hatte dann plötzlich am Arbeitsplatz Kollegen, die sahen, dass man tüchtig war. Und die Frauen hatten oft die Chance, durch die Kinder wieder andere Frauen kennenzulernen. Und das beförderte natürlich auch das Kennenlernen und die Integration.“

Kontakte in einer neuen Umgebung zu knüpfen, fällt oft leichter, wenn man beispielsweise einem Verein beitritt oder sich in der Kirche engagiert. Dann ist es auch – wie Marita Krauss mit Blick auf den Fußballsport sagt – egal, ob jemand aus einem anderen Land kommt. Und wer bereit ist, etwas zu leisten, tüchtig zu sein, wird anerkannt. Im Nachkriegsdeutschland pflegen die deutschstämmigen Flüchtlinge ihre Kultur und Tradition und vertreten ihre Interessen in eigenen Verbänden. In der ehemaligen DDR sah das anders aus. Hier war jegliche gemeinschaftliche Organisation verboten. Die Vertriebenen sollten ihre eigene Identität und Kultur aufgeben. Diese Art Zwangsintegration äußerte sich auch in Begriffen wie „Neubürger“ oder „Umsiedler“ – beides vermittelt den Eindruck von einem weitgehend freiwilligen Handeln. Für Marita Krauss ist ein derartiges Verhalten ein Fehler:

„Wir wissen ja heute, dass es natürlich einfacher ist, wenn man mit der eigenen Kultur in eine neue Gesellschaft hineinwachsen kann. Also, die vielen Communitys, die in den klassischen Einwandergesellschaften entstanden sind – also beispielsweise die deutsche Community in Amerika, die italienische –, die bilden einen Schutzraum, wenn der Auswanderer – oder dann Einwanderer – in der neuen Gesellschaft ankommt und lauter Leute hat, die seine Sprache sprechen, die seiner Kultur nahestehen. Und insofern ist dieses Sich-Organisieren-Können in einer eigenen Kultur und kulturellen Community ganz wichtig für den Integrationsprozess und für den Prozess des Ankommens.“

Wer flieht oder vertrieben wird, braucht nach Ansicht von Marita Krauss erst einmal die Sicherheit und Geborgenheit einer vertrauten Gruppe, einer Community. Er braucht einen Schutzraum, braucht ganz viele, lauter, Leute, mit denen er sich in der Muttersprache unterhalten kann, die gemeinsame Interessen und Wertvorstellungen haben. Die Eingewöhnung in eine neue Gesellschaft fällt dann laut Marita Krauss leichter. Man kann in sie hineinwachsen. Als Beispiel nennt sie die Vereinigten Staaten von Amerika, ein klassisches, also traditionelles, Einwanderungsland, in dem es nicht nur deutsche, sondern beispielsweise auch italienische oder chinesische Communitys gibt. Anders als die deutschstämmigen Flüchtlinge der Nachkriegszeit, die zumindest die gleiche Sprache sprachen und aus demselben Kulturkreis kamen wie die Einheimischen, haben es Zuwanderer heute meist ungleich schwerer. Wenn Werner Krokowski heute in den Medien die Bilder der Flüchtlinge sieht, kommen in ihm Erinnerungen hoch:

 „Glauben Sie ja nicht, dass wir auch so gerne aufgenommen wurden. Uns wollte auch keiner richtig haben. Die Einheimischen hier im Ort, die wollten keine Flüchtlinge aufnehmen. Wenn wir nicht die Lager gehabt hätten, dann wüsste ich nicht, wer hier in Watenstedt jemand aufgenommen hätte. Da kann man nur sagen: ‚Gott sei dank, dass wir die Lager hatten.‘“

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