Die einen hungern, die anderen essen unkontrolliert und erbrechen das Gegessene wieder. Für krankhafte Essstörungen gibt es verschiedene Ursachen. Eine Therapie ist nicht immer erfolgreich. Manche sterben an der Sucht.

Es beginnt meist mit einer Diät. Die Betroffenen wollen ein bisschen abnehmen. Zunächst haben sie Erfolg, verlieren aber dann das Gefühl für Körper, Gewicht und Hunger. Sie magern ab oder essen, bis sie das schlechte Gewissen plagt, und erbrechen sich anschließend. Meist betrifft es Mädchen und Frauen. Schätzungen zufolge sind ein Prozent der 15- bis 25-jährigen Mädchen und Frauen von Magersucht, Anorexia nervosa, betroffen. Bis zu fünf Prozent leiden an Ess-Brechsucht, Bulimie. Die Bonner Psychologin Annette Lemler-Lauerbach erklärt, was mit den Betroffenen körperlich geschieht:

„Es geht so nach und nach komplett das Verhältnis zum Essen verloren. Und auch der Körper verliert das Gefühl dafür: ‚Wann hab ich noch Hunger?‘ Also, er ist in einem Dauermangelzustand. Er kann das dann nicht mehr unterscheiden, wann er noch Hunger hat oder Appetit oder Lust. Es geht durch diese Diäten und diese dauerhaften Mangelzustände völlig verloren.“

Magersüchtige beziehungsweise Bulimikerinnen haben eine gestörte Beziehung zur Nahrungsaufnahme. Sie können den Gedanken, etwas zu essen und dadurch zuzunehmen, nicht ertragen. Jegliche Lust und Freude am Essen geht verloren, ein Hungergefühl wird nicht mehr wahrgenommen. Und irgendwann wird dieser Zustand als normal angesehen. Der Körper befindet sich in einem Dauermangelzustand – nicht nur weil ihm die nötigen Nährstoffe fehlen. Bulimiker können ihre Essstörung lange verheimlichen, weil ihre Gewichtsschwankungen nicht so deutlich auffallen wie bei Magersüchtigen. Doch irgendwann zeigen sich körperliche Begleiterscheinungen aufgrund der Mangelernährung. Dazu gehören unter anderem Haarausfall, Knochenschäden oder Herz- und Nierenschäden. Die Gründe für diese krankhaften Essstörungen sind vielfältig, sagt Katrin Imbierowicz, Oberärztin am Universitätsklinikum Bonn:

„Wir sehen manchmal Betroffene mit einer Magersucht, bei denen sich sehr deutliche Zusammenhänge mit der Lebensgeschichte finden lassen in Bezug auf die Essstörungen. Also, wo Traumatisierungen zum Beispiel eine Rolle spielen, sexuelle Übergriffe ‘ne Rolle spielen in der Entstehung. Wir sehen aber auch wieder andere Betroffene, bei denen eine durchaus stabile familiäre Situation vorliegt, aber vielleicht vom Grundtyp her so ‘n Perfektionismus, so ‘ne Übergenauigkeit, so ‘ne gewisse Zwanghaftigkeit vorliegt, ne. Und dann gibt es auch diejenigen, bei denen der Lebenskontext ‘ne ganz große Rolle spielt. Also, die Peergroup, wo dann deutlich wird, dass eine rigide Schlankheitsnorm sehr schnell überspringt von Mädchen auf Mädchen und sehr schnell auch übernommen wird, und das manchmal der Auslöser dafür sein kann, in eine Diät zu kommen, die sich dann verselbstständigen kann.“

Krankhafte Essstörungen können laut Katrin Imbierowicz unterschiedliche Ursachen haben: Betroffene können als Kinder schwere seelische, traumatische, Erfahrungen gemacht haben, wie beispielsweise sexueller Missbrauch. Oder es handelt sich bei ihnen um Menschen, die immer alles perfekt machen wollen. Sie haben keine richtige Kontrolle mehr über ihr Verhalten, handeln zwanghaft, indem sie alles nicht nur genau, sondern sehr genau, übergenau, nehmen. Die dritte Gruppe ist diejenige, so Katrin Imbierowicz, bei der der Lebenskontext, das soziale Umfeld, in dem sie leben, eine wichtige Rolle spielt. Hier definiert die sogenannte Peergroup, also die Gruppe gleichaltriger Kinder oder Jugendlicher, was als schön gilt. Sie setzt eine strenge, rigide, Schlankheitsnorm. Und diese Norm überträgt sich von einem zum anderen, sie springt über. Mädchen, die oft noch im Wachstum sind, machen eine oder mehrere Diäten, um diese Norm zu erfüllen. Manchmal, wenn die Kinder psychisch nicht stabil sind, verselbstständigt sich die Sache. Die Betroffenen verpassen den Zeitpunkt, mit dem Hungern aufzuhören. Am ehesten sind Mädchen aus bestimmten Gesellschaftsschichten betroffen, wie Katrin Imbierowicz erläutert:

„Wenn man das so auf Stereotype festlegen wollte, dann könnte man schon sagen, – also, wenn wir jetzt über die Magersucht sprechen –, dass das eher junge Mädchen sind, die aus höheren Bildungsschichten kommen, wo Leistungsorientierung ‘n hohen Stellenwert hat in der Familie.“

Es sind zwar, wie Katrin Imbierowicz sagt, Stereotype, also bestimmte Vorurteile. Magersucht ist aber am ehesten in Familien zu finden, die eine höhere Bildung haben und von ihren Kindern Leistung fordern. Leistungsorientierung ist sehr wichtig, hat einen hohen Stellenwert. Familien reagieren auf Kinder, die eine krankhafte Essstörung entwickelt haben, unterschiedlich, sagt Psychologin Annette Lemler-Lauerbach:

„Bei den magersüchtigen Familien ist der Zwang zur Harmonie sehr stark, also dass man Konflikte gerne untern Teppich kehrt, dass Streit was ganz Furchtbares ist oder dass nach außen zumindest der Schein gewahrt werden muss. Und bei den bulimischen Familien da geht’s schon mal eher hoch her, aber Konflikte werden nicht wirklich konstruktiv gelöst.“

Familien mit magersüchtigen Angehörigen haben laut Annette Lemler-Lauerbach ein großes Harmoniebedürfnis. Sie wollen sich nicht auseinandersetzen, verheimlichen die Sucht. Sie kehren sie redensartlich unter den Teppich – auch im Umgang mit Nicht-Familienmitgliedern. Es wird dann der Schein gewahrt, so getan, als ob alles in Ordnung ist. Familien mit Bulimikern verhalten sich dagegen oft anders, sagt Annette Lemler-Lauerbach. Dort geht es schon mal hoch her, es wird viel und laut gestritten. Die Konflikte sind aber nicht konstruktiv, bringen keine für beide Seiten befriedigende Lösung des Problems. Krankhafte Essstörungen können durch eine entsprechende Psychotherapie behandelt werden. Oberärztin Katrin Imbierowicz hat sich in der Bonner Universitätsklinik darauf spezialisiert. Hier geht man auf die individuellen Probleme jedes Einzelnen ein. Essen unter Zwang gibt es nicht, wie sie sagt:

„Unsere Therapie basiert auf Freiwilligkeit, das heißt, wir klären unsere Patienten sehr gründlich vorher auf, wie ‘ne Therapie aussieht und auf was sie sich einlassen bei uns. Also wie ein ‚Essvertrag‘ zum Beispiel aussieht, der nämlich vorschreibt, wie viel Gewichtszunahme pro Woche im Schnitt erfolgen sollte; der auch vorschreibt, wie die Kalorienaufnahme zum Beispiel erfolgen sollte. Und je mehr quasi das Essen wieder ‘n bisschen selbstverständlicher wird, umso mehr können wir auch diese Struktur lockern.“

In der Bonner Klinik geht man davon aus, dass die Essgestörten, die zu ihnen kommen, auch wirklich behandelt werden wollen. Man setzt auf Freiwilligkeit. Es wird ihnen erklärt, was sie während der Therapie erwartet, worauf sie sich einlassen. Zu Beginn der Therapie wird mit ihnen ein Vertrag geschlossen, der bestimmte Vorgaben enthält. Diejenigen, die an Bulimie leiden, werden von jemandem begleitet, wenn sie essen gehen. Ziel ist, dass sie sich irgendwann selbst kontrollieren können. Für alle, also Magersüchtige und Bulimiker, soll aber erreicht werden, dass sie lernen, mit Genuss zu essen und Konflikte konstruktiv zu bewältigen, statt diese durch Essen und anschließendes Erbrechen oder Hungern zu befriedigen. Medikamente werden nur vorsichtig eingesetzt. Eine Therapie zum richtigen Umgang mit dem Essen kann Jahre dauern. Aber nur 30 Prozent der Magersüchtigen oder Bulimiker werden geheilt. Im schlimmsten Fall endet eine Essstörung mit dem Tod, sagt Katrin Imbierowicz:

„Die Magersucht gilt als die psychosomatische Erkrankung mit der höchsten Mortalität. Man sagt, etwa 15 Prozent der Betroffenen versterben an ihrer Erkrankung. Die Hälfte davon durch Suizid – das ist wichtig zu wissen, deswegen, weil ständiges Hungern auch depressiv macht. Die andere Hälfte stirbt an den körperlichen Komplikationen.“

Die Todesrate, die Mortalität, bei Magersüchtigen ist im Vergleich zu anderen Betroffenen, deren Krankheit psychisch bedingt, psychosomatisch,ist, hoch. Manche Betroffene begehen Selbstmord, Suizid. Der ständige Nahrungsentzug sorgt dafür, dass sie depressiv werden, keine Freude mehr am Leben haben, mutlos sind. Andere sind so abgemagert, dass wichtige Körperorgane versagen und sie verhungern. Trotz entsprechender Hilfsangebote schaffen es viele krankhaft essgestörte Menschen nicht, wieder ein normales Verhältnis zu sich und ihrem Körper aufzubauen.

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