Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven ist Deutschlands erstes Migrationsmuseum. Dort wird das Leben von Auswanderern und Einwanderern, von „Gastarbeitern“ und Spätaussiedlern erzählt und erlebbar gemacht.

Im August 2015 feierte es sein zehnjähriges Bestehen: das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven. Es hat seinen Grund, dass das Museum am Hafen der norddeutschen Stadt liegt: Denn von hier aus wanderten von 1852 bis 1890 knapp 1, 2 Millionen Menschen in die sogenannte Neue Welt aus, die historische Bezeichnung für den amerikanischen Kontinent. Mehr als zwanzig Jahre lang hatten sich viele Bremerhavener Bürger, Politiker, Menschen aus Wirtschaft und Kultur dafür eingesetzt, ein Museum zum Thema „Auswanderung“ zu errichten. 2005 war es dann so weit. Und sieben Jahre später wurde das Museum erweitert: um einen Anbau zum Thema „Einwanderung“. Wer das Museum besucht und sich informieren will, wird in einem Rundgang durch die Geschichte von damals bis heute geführt. Zunächst können die Besucher sich darüber informieren, was die Auswanderer beispielsweise taten, um sich ohne Sprachkenntnisse in Amerika zurechtzufinden. Der Weg führt dann in eine besondere Wartehalle:

„Hier in der Wartehalle des ‚Grand Central Terminals‘ in New York erfahren die Besucher, wo und wie sich die deutschen Auswanderer in den Vereinigten Staaten etabliert haben – und vor allem auch unter anderem, welchen Jobs sie nachgegangen sind.“

Dieser Raum ist – wie Ilka See vom Deutschen Auswandererhaus erzählt – einer sehr berühmten Bahnhofswartehalle nachempfunden: der des Grand Central Terminal in New York. Hier erfahren die Besucher anhand von Beispielen, wo sich die Auswanderer etabliert, niedergelassen, haben und in welchen Berufen sie gearbeitet haben, welchen Jobs sie nachgegangen sind. Zum Beispiel der aus der süddeutschen Region Schwaben stammende Ottmar Mergenthaler. Er bestieg 1872 von Bremerhaven aus ein Schiff Richtung Baltimore. Von da aus reiste er weiter nach Washington. An einer sogenannten Hörstation erzählt ein Schauspieler Ottmar Mergenthalers Geschichte. Und die unterschied sich von der mancher anderer Auswanderer:

„Anders als Millionen Auswanderer sieht Ottmar Mergenthaler einer sicheren Zukunft entgegen. Der 18-Jährige hat eine Unterkunft und vor allem eine feste Anstellung in der Fabrik seines Vetters August Hahl in der Tasche.“

Ottmar Mergenthaler wusste, was auf ihn zukam, er sah einer sicheren Zukunft entgegen. Denn er wusste nicht nur, wo er leben, sondern auch, dass er eine Arbeit haben würde. Er hatte eine Anstellung bereits in der Tasche. Denn er hatte einen Cousin, August Hahl, der bereits in Washington D.C lebte, dort eine Werkstatt für elektrische Geräte betrieb, ein Erfinder war und seinen Cousin als Mitarbeiter anstellte. 1878 wird Ottmar Mergenthaler amerikanischer Staatsbürger. Er gilt als Erfinder der sogenannten Linotype-Setzmaschine. Sie vereinfachte unter anderem das Drucken von Zeitungen. Wer seinen Rundgang im Deutschen Auswandererhaus fortsetzt, kommt auch in den Anbau und wird dort direkt von einer großen weißen Tafel empfangen: „Willkommen in Deutschland“ heißt es da. Und ab jetzt müssen sich die Besucher auf etwas Neues einstellen, sagt Ilka Seer:

„Dort vollzieht sich quasi der Perspektivwechsel. Das heißt, sie begleiten ab sofort nicht mehr den deutschen Auswanderer in die Neue Welt, sondern jetzt einen Einwanderer, der nach Deutschland gekommen ist.“

Die „Willkommens“-Tafel steht als sichtbarer Übergang zur Ausstellung über die Einwanderung nach Deutschland. An der Stelle verändert sich – wie es Ilka Seer formuliert – auch die Betrachtung der Besucher. Es geschieht, vollzieht sich, ein Perspektivwechsel. Denn nun stehen nicht mehr die Auswanderer, sondern die Einwanderer im Mittelpunkt. Wie bei den Auswanderern werden auch hier beispielhaft einzelne Personen und deren Geschichten in den Mittelpunkt gestellt, zum Beispiel der italienische Eismacher beziehungsweise inzwischen korrekt „Speiseeishersteller“ Silvio Olivier. An einer Hörstation erfährt man etwas über die Familiengeschichte:

„In den Sommermonaten ziehen die Eismacher aus den Dolomiten über die Alpen nach Norden. Auch Silvios Großvater Valentino beginnt, seinen Eiskarren ab 1889 durch die Straßen Süddeutschlands zu schieben. Im Winter kehrt er zu seiner Familie ins Zoldo-Tal zurück. Sein Können gibt Valentino an seine Söhne weiter, die – wie der Vater – jeden Sommer mit ihren wunderschön verzierten Eiskarren durch Süddeutschland ziehen. Um 1910 besitzen die Söhne bereits vier Eisproduktionsstätten. Eine davon betreibt Silvios Vater Giulio in Rastatt bei Karlsruhe, wo er mit seiner Frau Maria, seinem Sohn Silvio und dessen zwei Geschwistern im Sommer lebt. In den Wintermonaten reisen alle zurück in die Dolomiten.“

In den Sommermonaten betrieb die italienische Familie ihr Eismachergeschäft im Süden Deutschlands und die Wintermonate verbrachte sie in der Heimat, dem in der norditalienischen Bergregion, den Dolomiten, gelegenen Zoldo-Tal. Diese Gegend gilt als „Tal der Eismacher“. Von dort wanderten seit Ende des 19. Jahrhunderts verarmte Bauern nach Deutschland aus und begannen, Eis herzustellen und zu verkaufen. Zunächst erfolgte der Verkauf von sogenannten Karren, kleinen Holzwagen, die bunt bemalt, verziert, waren und die sie mit der Hand durch die Straßen schoben. Zu einer dieser Eismacherfamilien gehörte auch die Familie Olivier. Silvios Großvater begründete die Tradition der Speiseeisherstellung, sein Vater, Onkel und schließlich er selbst führten sie fort. Bald wurde das Eis an mehreren Orten, Stätten, hergestellt und in eigenen Eisläden verkauft. Silvio eröffnete seinen 1936 im sächsischen Werdau. Schwierig wurden die Zeiten für ihn, als Deutschland in einen West- und einen Ostteil, die DDR, geteilt wurde. Doch Silvio wusste sich zu helfen, erzählt Ilka Seer:

„Zu den Zeiten der DDR gab es natürlich auch immer wieder Rohstoffmangel, so dass er in der Zeit kein Eis produzieren konnte und hat in dieser Zeit dann Haare geschnitten.“

Weil in der DDR Rohstoffmangel herrschte, Silvio also manche Zutaten für die Eisproduktion nicht bekam, musste er einen anderen Job machen. Er arbeitete als Friseur. Auch die Vietnamesin Mai-Phuong Kollath verdiente sich ihr Geld in der damaligen DDR. Als sogenannte Vertragsarbeiterin war sie für eine befristete Zeit dort. Sie hatte kein einfaches Leben, sagt Ilka Seer:

„Sie sollte in Rostock in einem Hotel arbeiten, arbeitete aber in einer Großkantine und hat nachts, weil sie sich noch ein bisschen Geld zusätzlich verdienen musste, West-Jeans nachgenäht – und anderem eben auch Levis-Jeans. Und diese nachgenähte Jeans ist nun eben hier zu sehen.“

Statt in einem Hotel arbeitete Mai-Phuong als Hilfskraft in einer Großkantine, einer Art Restaurant, in dem Arbeiter und Angestellte einer Firma essen. Dort verdiente sie aber nicht genug Geld. Daher begann sie, Jeans, die es in Westdeutschland zu kaufen gab, nachzunähen, sie zu kopieren und unter anderem an Freunde und Bekannte zu verkaufen. Zu diesen sogenannten West-Jeans gehörten auch solche der US-Marke Levis. Eine nachgenähte Levis-Jeans und auch Gegenstände, die Silvio benutzt hat, können die Besucher im Original bewundern. Zu sehen sind aber auch Zeitungen vom 24. November 1973 – nicht ohne Grund, wie Ilka Seer sagt:

„Das ist der Tag, nachdem die Bundesregierung den Anwerbestopp für ausländische Gastarbeiter beschlossen hat, und die Schlagzeilen sind natürlich sehr aussagekräftig.“

Ende November 1973 änderte sich die Zuwanderungspolitik der Bundesregierung. Waren bis dahin noch gezielt Menschen aus Ländern angeworben worden, um in Deutschland zu arbeiten, galt ab dem 24. November ein Anwerbestopp. Keiner durfte mehr als Gastarbeiter einreisen. Der Begriff wurde in den 1960er-Jahren als Oberbegriff für

Arbeitsmigranten verwendet. Denn besonders in den 1950er- und 1960er-Jahren brauchte man für den Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg Arbeitskräfte. Eine schlechte Wirtschaftslage und steigende Arbeitslosenzahlen führten in den 1970er-Jahren dazu, dass die Bundesregierung den Anwerbestopp erließ. Alle Zeitungen verbreiteten die Nachricht. Die Schlagzeilen waren klar und deutlich, aussagekräftig: „Gastarbeiter-Anwerbung wird ab sofort gestoppt“ oder „Gastarbeiterwelle ist vorerst gestoppt“. Die Besucher erfahren aber nicht nur etwas über Gastarbeiter, sondern auch über andere Zuwanderergruppen:

„Zwischen 1990 und 2010 kommen vor allem russische Spätaussiedler und jugoslawische Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs finden in dieser Zeit wieder Pogrome in Deutschland statt.“

Zu einer Darstellung der Migration in Deutschland gehören unter anderem zwei weitere Gruppen dazu: erstens, die sogenannten Spätaussiedler aus Osteuropa, zweitens die Menschen, die vor den Kriegen auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien flohen. Bei den Spätaussiedlern handelte es sich um Menschen mit deutschen Vorfahren, die nach 1993 überwiegend aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen. Hinzu kamen in den 1990er- Jahren Hunderttausende jugoslawische Bürgerkriegsflüchtlinge. In diese Zeit fielen auch die ersten Pogrome, gewaltsame Angriffe gegen Minderheiten. Zu Beginn der 1990-er Jahre griffen meist Rechtsradikale in verschiedenen Städten Unterkünfte von Ausländern an, in denen ehemalige DDR-Vertragsarbeiter beziehungsweise Asylsuchende lebten. Wer den Rundgang beendet hat, hat viel erfahren über die Lebenswirklichkeiten von Auswanderern und Einwanderern. Und den Besuchern – wie diesen drei hat die Ausstellung gefallen:

„Wir haben natürlich erlebt, wie die Gastarbeiter kamen. Das habe ich gut in Erinnerung. Aber was uns eben besonders interessiert hat, war die Auswanderung. / Dieses Emotionale, was damit auch mitgekommen ist, dass die Menschen da Hoffnungen hatten, und so. Das konnte man in diesen alten Schriften und so sehr gut sehen. / Mir war das eigentlich auch nicht so bewusst, wie das so früher so abgelaufen ist, wie die hier zugewandert sind. Und von daher fand ich’s eigentlich mal so interessant, das mal so ‘n bisschen hautnah so mitzuerleben.“

Die beiden Schülerinnen fühlen sich gut informiert. Vor allem, weil vermittelt wird, was Auswanderer und Einwanderer fühlten. Die Besucher erleben es hautnah mit. Es ist so, als ob sie direkt und unmittelbar dabei wären. Man versteht, wie alles sich ereignet hat, abgelaufen ist. Dann ist doch zumindest ein Ziel der Museumsleitung erfüllt: aufzuklären und Verständnis für das Thema Migration und die dahinterstehenden Menschen zu wecken.

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