Immer mehr Menschen sterben einsam. Nach ihrem Tod bringt die Kommune sie in Massengräbern unter die Erde. Die Tobiasbruderschaft sorgt dafür, dass es für die Verstorbenen wenigstens einen Gottesdienst gibt.

Auf dem Städtischen Friedhof in Göttingen laufen zwölf Männer schweigend hinter einem Wagen her. Darauf liegen fünf Urnen von Menschen, um die sich nach deren Tod niemand gekümmert hat. Am Grab spricht Pastor Rudolf Grote ein kurzes Gebet:

„Ewiger Gott, du siehst nicht nur, was vor Augen ist. Du siehst das Herz an. Wir kennen alle diese Verstorbenen kaum, aber du kennst sie.“

Während der Pfarrer die Namen der Toten verliest, werden die billigen, schwarzen Metallurnen in ein gemeinsames Grab hinabgelassen. Niemand hat sie vor Augen, niemand weiß, wie sie ausgesehen haben. Die zwölf Männer, die sich Tobiasbrüder nennen, werfen Erde und Blumenblätter auf die Urnen. Sie nehmen Abschied von den Verstorbenen, die keine Angehörigen mehr hatten und die ohne die Tobiasbrüder anonym von der Kommune begraben worden wären. Was danach passiert, erzählt Harald Storz, Pastor einer Göttinger Innenstadt-Gemeinde und Tobiasbruder.

„Wenn genug Urnen beisammen sind, dann wird eine Rinne mit ’nem Bagger gegraben, und das war’s.“

Viele Menschen wollen sich heute in einer Urne, also einem Gefäß mit der Asche des verbrannten Leichnams, begraben lassen. Eine Trauerfeier mit den Angehörigen und Freunden findet trotzdem statt. Wenn der Verstorbene aber einsam war, steht außer dem Friedhofsgärtner keiner am Grab. Dann kommt ein Bagger und macht eine Rinne, einen langen Graben, in die Erde. In das Loch kommen dann mehrere Metallurnen. Die Zahl dieser Armenbestattungen in Deutschland ist rapide angestiegen: Rund 10.000 Menschen jährlich sind am Ende ihres Lebens betroffen. Und es werden immer mehr, sagt Storz:

„Menschen werden immer älter. Das bringt es mit sich, dass immer mehr Menschen im Alter auch vereinsamen. Und dann entsteht so ‘ne Situation, dass ein Mensch genauso einsam, wie er in seinem letzten Lebensabschnitt gelebt hat, genauso einsam auch stirbt und auch genauso einsam beigesetzt werden muss, weil keiner mehr da ist.“

Wenn man sehr alt wird, sind Familienangehörige und Freunde oft schon tot. Das führt dazu oder das bringt es mich sich, dass man allmählich sehr allein ist, man vereinsamt. Damit man nach dem Tod nicht anonym unter die Erde kommt, organisiert die Tobiasbruderschaft in Göttingen alle drei Monate einen Trauergottesdienst, sagt Storz:

„Die Tobiasbruderschaft ist ein Versuch, zu reagieren auf die Situation, dass es in der Stadt Göttingen pro Jahr ungefähr 50 bis 70 Beerdigungen gibt. Leichenentsorgungen von Menschen, für die niemand zuständig ist. Und deswegen muss im Rahmen des Seuchenbekämpfungsgesetzes das Ordnungsamt an dieser Stelle einschreiten.“

In Deutschland wird auch der Tod per Gesetz geregelt, dazu gehört auch die Leichenentsorgung: Das heißt, ein Verstorbener muss begraben oder verbrannt werden.

Wenn jemand keine Angehörigen hat, kümmert sich das Ordnungsamt darum. Die Aufgabe des Amtes ist es, „das Einhalten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ zu überwachen. Die Mitarbeiter sind allerdings keine Polizisten: Sie registrieren zum Beispiel neue Einwohner, überwachen die Hygiene in Restaurants oder kümmern sich darum, dass das Seuchenbekämpfungsgesetz eingehalten wird.Sie verhindern also, dass sich Krankheiten oder Epidemien verbreiten. Wenn jemand gegen das Gesetz verstößt, eine Leiche zum Beispiel nicht begraben wird, müssen sie einschreiten,also das gesetzeswidrige Verhalten verhindern.

So weit will es die Tobiasbruderschaft gar nicht kommen lassen. Eine Bruderschaft ist eine religiöse Gemeinschaft von Männern mit dem gleichen wohltätigen oder frommen Ziel. Neben den Männern der Bruderschaft kommen zu den Trauerfeiern für die unbekannten Toten manchmal auch frühere Nachbarn, um Abschied zu nehmen. Dann wird gemeinsam das Lied gesungen: „Herr, gedenke doch der Namen derer, die gestorben sind …“ Wolf-Dietrich Köhler vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche schätzt die Arbeit der Tobiasbrüder. Er hat am Beispiel der Stadt Hildesheim die Armenbestattungen untersucht:

„Es gibt in der untersuchten Kommune zum Beispiel einen kirchlichen Friedhof, der lässt nur noch Urnenbeisetzungen mit einer Platte auf dem Rasen zu. Ob die Platte einen Namen trägt oder nicht, das darf dann entschieden werden – frei, kostet aber nicht mehr oder weniger. Und die Erfahrung ist, dass, seit es diese Regelung gibt, kaum jemand mehr ohne Namen bestattet werden will. Das heißt, die wollten alle gar nicht anonym, sie wollten kostengünstig und pflegeleicht bestattet werden. Und die Tendenz in der untersuchten Kommune ist, dass im kirchlichen Bereich ganz klar Friedhofsordnungen geändert werden in der Richtung, dass anonyme Bestattungen nicht mehr sein sollen.“

Deshalb soll es also Platten auf dem Rasen geben, Namensschilder aus Metall werden über den vergrabenen Urnen auf die Erde gelegt. Nach den Friedhofsordnungen, also nach den Regeln für die Beerdigungen auf einem Friedhof, soll das sogar Pflicht werden. Urnen sind kostengünstiger,billiger als Särge, weil sie nicht so viel Platz brauchen. Selbst wenn der Verstorbene noch Angehörige hat, müssen diese nicht zwei bis drei Meter Erde bepflanzen und sauber halten, sondern nur einen sehr kleinen Raum über der Urne. Das ist viel pflegeleichter, es macht weniger Arbeit.

Die 30-köpfige Tobiasbruderschaft in Göttingen hat übrigens ein historisches Vorbild: Schon im Mittelalter schlossen sich Männer in Zeiten von Kriegen und Krankheiten wie der Pest oder der Cholera zusammen, um Verstorbene zu bestatten, die keine Angehörigen mehr hatten. Aber die Bruderschaft ist nicht nur aus Traditionsbewusstsein entstanden, sagt Harald Storz, einer der Mitbegründer:

„Vor allem haben wir uns für diese Form entschieden, weil wir gemerkt haben, dass Männer im diakonischen Bereich sich sehr, sehr wenig engagieren. Und an der Stelle wahrzunehmen: Wir Männer drücken uns an der Stelle auch ein Stückchen vor diakonisch freiwilligem Engagement, war uns Anlass zu sagen: Es ist sinnvoll, auch mal einen Bereich zu kreieren, in dem es ein spezifisches Männerengagement gibt.“

Meistens engagieren sich Frauen im diakonischen Bereich: Das ist der soziale Dienst der Evangelischen Kirche. Christen helfen hier Menschen, die Hilfe brauchen. Sie arbeiten zum Beispiel in Kindergärten oder in Altenheimen. Männer drücken sich gern vor diesen Arbeiten, sie machen nicht mit. Anders die Tobiasbruderschaft: Sie hat sich einen Bereich geschaffen oder kreiert, wo sie sich engagieren kann. Der Name stammt übrigens aus der Bibel. Im recht unbekannten Buch Tobit im Alten Testament sagt die Hauptperson Tobias: „Wenn ich sah, dass einer aus meinem Volk gestorben war und dass man seinen Leichnam hinter die Stadtmauer von Ninive geworfen hatte, begrub ich ihn.“

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