Die DDR interessiert die Deutschen immer noch: Spreewaldgurken etwa finden ihre Käufer, Hotels im DDR-Design ihre Gäste. Die Ostalgie hat ihre Gründe, birgt aber auch Gefahren – zumindest für eine bestimmte Generation.

Mit dem sogenannten Fall der Berliner Mauer im November 1989 veränderte sich für die Bürger der damaligen Deutschen Demokratischen Republik DDR ihr Leben. Sie hatten mehr als 40 Jahre in einer Diktatur gelebt – verbunden mit Einschränkungen in ihrem Leben. Allerdings haben viele auch schöne Erinnerungen an ihr Leben in der DDR. Und bei denjenigen hat eine gewisse Nostalgie eingesetzt. Man nennt das auchOstalgie, weil sie sich auf Ostdeutschland bezieht. Einen Grund dafür nennt Daniel Helbig, der das Hotel „Ostel“ in Berlin betreibt:

„Man merkt schon, dass diese Vergangenheit ‘n Ticken ruhiger war. Man hatte damals natürlich nicht so viel um die Ohren wie heute. Es gab keine Computer, keine Handys, keine Faxgeräte. Es war alles ‘n bisschen entspannter.“

Den Ostalgie-Trend griffen die Hostelgründer um Daniel Helbig auf. Sie eröffneten ihr Hostel 2007 im Berliner Stadtteil Friedrichshain in einem Plattenbau, einem typischen ehemaligen DDR-Gebäude. Lange hatten sie gebraucht, bis sie alle originalgetreuen Tapeten und Möbel gefunden hatten, um die 60 Zimmer im DDR-Design zu gestalten. Aber die Mühen für diese Geschäftsidee haben sich gelohnt. Die Zimmer sind gut gebucht, denn sie bieten Gelegenheit, die Atmosphäre zu erfahren, die damals herrschte. Und die war – wie es Daniel Helbig ausdrückt – ein bisschen, einen Ticken, ruhiger. Man hatte nicht so viel um die Ohren, nicht so viel Arbeit und Stress. Auch Silke Rüdiger, die einen Internetversandhandel mit Ostprodukten betreibt, stellt ein anhaltendes Interesse an allem fest, was die frühere DDR betrifft. Sie begründet das so:

„Weil das gute Produkte sind und viel mehr Leute – auch im Westen geborene Menschen –sich dafür interessieren: ‚Was hatten die da? Ach ja, das probier ich mal aus. Und: ‚Ach, das ist ja toll. Ne, das nehm’ ich jetzt für immer.‘ Ostalgie ist noch lange nicht weg.“

Obwohl in der DDR Mangelwirtschaft herrschte, gab es dort Produkte, die nach Angaben von Silke Rüdiger sehr gut waren. Und das stellen auch Menschen fest, die nicht dort gelebt haben. Die Auswahl des Internetversandhandels reicht von Kleidung, Musik und Filmen bis hin zu Originalgeldscheinen oder Originalorden. So kostet ein 100-Ostmark-Schein jetzt 25 Euro. Ein echter Orden, der von der damaligen Regierung Erich Honeckers nur selten für besonders herausragende Arbeitsleistung verliehen wurde, ist für rund 350 Euro sogar mit Originalschachtel zu erhalten. Am besten verkaufen sich Lebensmittel nach Rezepten aus DDR-Zeiten wie beispielsweise der Rotkäppchensekt, der Bautz’ner Senf, Spreewälder Gurken, Halloren-Schokoladenkugeln. Silke Rüdiger hat noch einen weiteren Grund festgestellt, warum bei ihr eingekauft wird:

„’ne Freude machen, indem sie Erinnerungen wecken, weil derjenige davon vielleicht schon mal was gehört hat – oder gute Erinnerungen hat zum Beispiel an seine Kindheit, weil er in der DDR aufgewachsen ist, allerdings ohne politische Botschaft, sondern aus emotionalen Gründen heraus.“

Nach Ansicht von Silke Rüdiger gibt es mindestens zwei Personengruppen, die bei ihr einkaufen: zum einen diejenigen, denen erzählt wurde, dass frühere DDR-Produkte gut waren, die einmal etwas davon gehört haben, zum anderen diejenigen, die sich gerne an Produkte ihrer Kindheit erinnern, weil sie ihnen geschmeckt haben. Und dieses Verhalten ist, so Silke Rüdiger, ohne politische Botschaft. Es hat nichts damit zu tun, dass das damalige System als positiv empfunden wird. Auch Klaus Schroeder, promovierter Soziologe und Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, sieht bei ehemaligen DDR-Bürgern noch eine gewisse Nostalgie – allerdings mit Einschränkungen:

„Die Ostalgie ist weiterhin da. Jedenfalls dann, wenn man darunter versteht, dass die DDR weichgezeichnet wird, der Diktaturcharakter ausgeblendet wird und die soziale Dimension hervorgehoben wird. Viele fühlen sich offenbar heimatlos. Sie sind immer noch fremd im vereinten Deutschland. Deshalb suchen sie sich irgendwelche Punkte, wo sie sich festklammern können.“

Klaus Schroeder hat sich intensiv mit der DDR und den Entwicklungen der Wiedervereinigung beschäftigt. Dabei hat er unter anderem festgestellt, dass sich ab dem Jahr 1990 viele ehemalige DDR-Bürger heimatlos fühlten. Denn ihr bisheriges Leben brach plötzlich zusammen: Die Marktwirtschaft wurde eingeführt, sehr viele ehemalige DDR-Betriebe wurden geschlossen, viele Waren nicht mehr produziert. In den ersten Jahren verloren Millionen Menschen ihre Arbeit. Und diejenigen, die im wiedervereinigten Deutschland nicht angekommen sind, sich fremd fühlen, klammern sich an ihre Erinnerungen von damals, halten daran fest. Das geht dann laut Klaus Schroeder so weit, dass auch das politische System einer Diktatur, der Diktaturcharakter, als nicht mehr so schlimm wahrgenommen wird. Es wird weichgezeichnet oder sogar ausgeblendet, also verschönernd dargestellt oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Stattdessen wird die soziale Dimension hervorgehoben, es wird betont, wie stark der Zusammenhalt der Menschen untereinander war. Hinzu kam etwas anderes, wie Stefan Wolle, Historiker und wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums in Berlin, sagt:

„Ich hab die Erfahrung gemacht, dass sehr viele Menschen den Zusammenbruch der DDR erlebt haben und empfunden haben als Enttäuschung, als Frustration, als Entwertung ihrer Biografien, als Missachtung ihrer Lebensleistung. Und sie möchten irgendwie, dass das nicht alles in Bausch und Bogen verdammt wird. Und da muss man sich eben auch davor hüten, das zu tun. Man muss den Leuten, die in der DDR aufgewachsen sind, auch dieses Gefühl vermitteln, dass das, was sie bisher geleistet haben und was sie gelernt haben, nicht alles nichts wert wäre mehr und so. Die wollten eigentlich mehr Anerkennung, ja. Und deswegen konzentriert sich auch die Ostalgie so stark auf die Gegenständlichkeit.“

Nach dem Zusammenbruch der DDR sahen diejenigen, die dort gelebt hatten, ihre Biografien entwertet, ihre Lebensleistung missachtet. Alles das, was sie in ihrem Leben gelernt und erreicht hatten, wurde als ganz und gar unwichtig angesehen und verurteilt. Es wurde in Bausch und Bogen verdammt. Die Wendung kommt aus der Rechtssprache und bezeichnete ursprünglich die genauen Maße eines Grundstücks: „Bausch“ war die bei der Grundstücksgrenze nach außen verlaufende Biegung und „Bogen“ die nach innen verlaufende. Weil die Menschen sich nicht wertgeschätzt fühlten, waren sie frustriert. Und sie sehnten sich nach konkreten Dingen aus ihrer Vergangenheit. Sie konzentrierten sich, wie es Stefan Wolle formuliert, auf die Gegenständlichkeit. Er meint, dass man ehemalige DDR-Bürger auf keinen Fall weniger wertschätzen soll als Menschen, die Westdeutschland aufgewachsen sind. Man soll sich davor hüten. Trotzdem wünschen sich von den etwa 16 Millionen ehemaligen DDR-Bürgern nach Umfragen mehrerer deutscher Forschungsinstitute nur noch zehn bis 15 Prozent die frühere DDR zurück. Allerdings sieht Politikwissenschaftler Klaus Schroeder eine Gefahr:

„Gefährlich ist die politische Gleichgültigkeit gegenüber dem heutigen System, die Relativierung von Freiheit und Demokratie. Sie können es insgesamt daran sehen, dass knapp 40 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen, also der Jugendlichen mit DDR-Eltern die DDR nicht für eine Diktatur halten, sie für demokratisch legitimiert halten. Wenn sie dann auf die Bewertung der alten Bundesrepublik schauen, dann sagen fast 50 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen, die alte Bundesrepublik war keine Demokratie. Sie sehen, man möchte – wahrscheinlich aus Mitleid mit den Eltern – die beiden Systeme auf Augenhöhe stellen und will damit ausdrücken, jedes System hatte Stärken und Schwächen.“

Manche, die in der DDR aufgewachsen sind, meinen, die damalige Regierung sei demokratisch legitimiert gewesen, also vom Volk gewählt worden. Auf der anderen Seite wird die frühere Bundesrepublik nicht als Demokratie gesehen. Und diese Einstellung haben laut Klaus Schroeder die Kinder der ehemaligen DDR-Bürger übernommen. Er vermutet, dass die Kinder beide Systeme auf Augenhöhe stellen, also als gleich gut darstellen, weil sie glauben, dass sich die Eltern für ihre DDR-Vergangenheit schämen. Die Gefahr besteht für Klaus Schroeder darin, dass die Demokratie in Deutschland insgesamt relativiert, abgeschwächt, wird und es sogar eine gewisse Gleichgültigkeit gibt. Stefan Wolle versucht, daher in seinem DDR-Museum auch die harte Realität zu zeigen: zum Beispiel in einem nachgebauten Verhörraum der Staatssicherheit – jener Polizei, die jeden Versuch des Widerstands gegen die Regierung in der Bevölkerung überwachte und bestrafte. Die ideologisch geprägte Ostalgie ist allerdings auf eine bestimmte Generation begrenzt. Denn für die junge Generation ist die DDR nur noch Geschichte.

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