Er ist ehrgeizig und zielbewusst: der deutsche Sportler Markus Rehm. Auch ein Unfall hielt ihn nicht ab, weiter Sport zu treiben. Als Weitspringer mit Unterschenkelprothese stellt er sich immer neuen Herausforderungen.

Markus Rehm wurde 1988 in Deutschland in Göppingen in der Nähe von Stuttgart geboren. Er gilt als der derzeit beste Weitspringer der Welt, der mehrere Weltrekorde aufgestellt hat. Allerdings ist er ein besonderer Weitspringer. Er hat nämlich ein Handicap: Sein Unterschenkel ist unterhalb des rechten Knies amputiert, wurde also nach einem Unfall durch eine Operation entfernt. Dort trägt er jetzt eine Prothese, eine Geh- und Laufhilfe. Und mit dieser gewann er unter anderem 2012 bei den Paralympics, den Olympischen Spielen für Sportler mit Behinderung, in London mit der Weltrekordeweite von 7,35 Meter die Goldmedaille. Ein Jahr später, im Juli 2013, stellte er bei der Leichtathletik- Weltmeisterschaft der Behindertensportler in Lyon in Frankreich wiedereinen Weltrekord auf. Markus Rehm erinnert sich:

„Ich hab ‘s Brett perfekt getroffen, also ‘ne gute Flugphase, die Landung – alles rausgeholt. Und ja, irgendwie hat alles zusammengepasst. Hat super funktioniert. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich dachte oder wusste, dass ich siebeneinhalb im besten Fall drauf hab.“

Markus Rehm dachte damals, dass er höchstens 7,50 Meter weit springen kann, dass er diese Länge im besten Fall drauf hat. Aber damals stimmten alle Voraussetzungen, alles passte zusammen. Der 1,85-Meter-Mann traf das Brett perfekt, traf also genau die Markierung für den Absprung. Weil der Wind gut war, hatte er auch genug Schwung. Er hatte eine gute Flugphase – und ist dann bei 7,95 Metern im mit Sand gefüllten Kasten gelandet. Er hat alles aus sich herausgeholt, alle diese vorteilhaften Momente ausgenutzt. Für seinen Erfolg tut Markus Rehm viel. So geht er regelmäßig zum Training, auch in ein Sportstudio. Trotz des damals grandiosen Sieges wollte er noch mehr erreichen, er setzte sich neue Ziele:

„Das ist die Acht vor dem Komma! Und ja, ich denk, dann wenn’s der Körper noch zulässt, werde ich mir neue Ziele setzen.“

Als neue Zielmarke setzte sich Markus Rehm die Acht-Meter-Marke oder – wie er es formuliert – die Acht vor dem Komma. Mindestens. Denn wenn er es körperlich schaffen sollte, würde er auch noch weiter springen wollen. Bis dahin war es für den Sportler aber ein weiter Weg. Denn im Jahr 2003 änderte sich sein komplettes Leben. Der damals 14-Jährige fuhr auf dem Main bei Schwarzach in Niederbayern Wakeboard. Wakeboard ist eine Sportart, bei der man mit beiden Füßen auf einem Brett festgeschnallt ist und meist von einem Motorboot an einer Leine übers Wasser gezogen wird und Sprünge vollführt. Nach einem missglückten Sprung mit dem Wakeboard stürzte Markus Rehm ins Wasser und wurde von einem Boot überfahren, das ihn übersehen hatte. Sein rechtes Bein geriet in die Schiffsschraube – ein Teil des Boots, das einem Propeller ähnlich ist und das Boot in Bewegung setzt. Wegen einer Blutvergiftung musste das schwerverletzte Bein unterhalb des Knies amputiert werden. Insgesamt verbrachte Markus Rehm damals sechs Wochen im Krankenhaus und fünf Wochen in der sogenannten Reha, der Rehabilitation. Dort werden etwa Unfallpatienten wie er darauf vorbereitet, ihren Alltag wieder alleine meistern zu können. Ohne die Hilfe anderer hätte es Markus Rehm nicht so geschafft, erzählt er:

„Damals im Krankenhaus schon wurde ich von Familie, Freunden wirklich stark unterstützt und auch motiviert, da wieder Gas zu geben. Ich hab auch schon viele Videos bekommen im Krankenhaus, wo ich einfach gesagt hab:„Ja, das möchte ich gern wieder machen, Wakeboard fahren, Sport machen.“

Seine Angehörigen und Freunde motivierten ihn, seinen Sport trotz des Unfalls nicht aufzugeben. Er solle Gas geben, wieder loslegen und weitermachen. Und das gelang ihm dank einer Prothese, die dafür sorgte, dass er unter anderem wieder Snowboard- und Wakeboard fahren oder Klettersport betreiben konnte. Dadurch, dass er wieder intensiv Sport trieb, war seine Prothese aber auch großen Belastungen ausgesetzt. Das führte dazu, dass sie öfter repariert werden musste, manchmal jede Woche, im Wochenrhythmus. Und das geschah bei einem Orthopädietechniker, einem Spezialisten, der unter anderem für die Reparatur von Prothesen zuständig ist. Dieser brachte ihn auch auf eine Berufsidee:

„Ja, ich war damals relativ oft bei meinem Orthopädietechniker, der musste mir die Prothese oft reparieren, weil ich viel damit gemacht hab. Ich war sehr aktiv, hab die regelmäßig kaputt gemacht – wirklich im Wochenrhythmus. Und wo wir dann mal auf, ja, auf den Berufswunsch zu sprechen gekommen sind, hat er mich gefragt, ob ich nicht mal Lust hätte, ‘n Praktikum zu machen.“

In einem der Gespräche fragte der Orthopädietechniker Markus Rehm, was er beruflich machen wolle, man kam auf den Berufswunsch zu sprechen. Und er fragte ihn, ob er nicht künftig im Orthopädiebereich tätig sein und im Sanitätsgeschäft ein Praktikum machen wolle. Markus Rehm ging in die Lehre und schloss seine Ausbildung 2009 als Landesbester ab. 2012 wurde er Orthopädietechnik-Meister. Und der Beruf macht ihm sehr viel Spaß – unter anderem aus einem Grund, wie er sagt:

„Für mich ist es spannend, so den ganzen Mensch einfach zu sehen. Also, ich hol den Mensch quasi am Krankenhaus ab und versuch, ihm dann wieder nach so ‘nem Schicksalsschlag auf die Beine zu helfen. Und ich denke, das ist wirklich auch das Schönste an dem ganzen Beruf.“

Das Gute an dem Beruf ist für Markus Rehm, dass er anderen Menschen nach einem Schicksalsschlag helfen kann, also einem Ereignis wie einem schweren Unfall, der das Leben dieser Menschen verändert. Im übertragenen Sinn hilft er ihnen wieder auf die Beine, hilft ihnen, ihr Leben zu meistern und nicht zu verzweifeln. Dies kann der Weitspringer nämlich gut: Dadurch, dass er selber ein Handicap hat, kann er sich sehr gut in die Lage dieser Menschen versetzen. Markus Rehm klärt sie über die ersten Schritte auf und versucht, bestehende Ängste der Prothesenträger zu bekämpfen. Er selbst besitzt zwei verschiedene Prothesen: eine für den Alltag und eine für den Wettkampf. Markus Rehm wäre nicht Markus Rehm, wenn er sich nach seinen Erfolgen damals in London und Lyon nicht neue Ziele gesetzt hätte: Er wollte als erster Sportler mit einer Behinderung bei Meisterschaften für Nichtbehinderte in Deutschland starten. Das tat er im Juli 2014. Allerdings gab es unter anderem in den Medien damals Diskussionen wegen seiner Prothese. Geprüft wurde, ob das verarbeitete Material, Carbon – ein mit Fasern aus Kohlenstoff verstärkter und leichter Kunststoff –, ihm einen Vorteil verschaffte. Dazu hatte er eine klare Meinung:

„Durch die Technologie der Kohlefaser, also des Carbons, da hat sich schon ganz viel getan. In den letzten Jahren wurde eigentlich nur noch diese Form dieser Carbonfeder verändert. Ich denke, der Vorteil ist dann nicht so groß, wie oft behauptet wird. Das wird in den Medien gern ‘n bisschen hochgespielt. Aus so ‘ner Prothese kommt natürlich nie mehr raus, als man reinsteckt.“

In der Prothesentechnik hat es nach und nach viele Verbesserungen gegeben, es hat sich ganz viel getan. Allerdings kann man – wie Markus Rehm es formuliert – eine Prothese nicht soweit verändern, dass mehr herauskommt, als man reinsteckt. Man kann also nicht die Leistung der Prothese steigern, sondern nur den Komfort beim Sprung. Denn die Grundform ist laut Markus Rehm weitgehend gleich geblieben. Nur die Form der Feder, die im Prinzip dafür sorgt, dass ein Prothesenträger springen und laufen kann, hat sich verändert. Seiner Meinung nach haben die Medien das Thema ein bisschen hochgespielt, ihm eine größere Bedeutung als notwendig gegeben. Die Diskussion um Markus Rehms Prothese ähnelte der über Carbonprothesen des südafrikanischen Paralympics-Sprinters Oskar Pistorius. 2008 wurde im Auftrag des Weltleichtathletikverbandes IAAF die Wirkung von Pistorius’ Prothesen vom Kölner Biomechanik-Professor Gert-Peter Brüggemann untersucht. Allerdings kann man die Fälle der beiden Sportler laut Professor Brüggemann nicht miteinander vergleichen:

„Bei Pistorius ist Unikat, dass er beidseitig amputiert ist und vor allen Dingen auf gleicher Höhe amputiert ist. Dass er identische Prothesen rechts und links trägt, das heißt keine Asymmetrie vorliegt. Wir wissen von einseitig Amputierten, dass das größte Problem eigentlich die Kompensation mit der gesunden Gegenseite ist.“

Oskar Pistorius ist laut Professor Brüggemann ein Sonderfall, ein Unikat. Denn bei ihm sind beide Beine unterhalb der Knie amputiert – und zwar auf gleicher Höhe. Dadurch entsteht keine Asymmetrie, keine ungleiche Länge der Beine. Ein weiterer Unterschied zu Markus Rehm besteht darin, dass Markus Rehm noch ein gesundes Bein hat. Und es kompensiert die Funktion des kranken Beins, gleicht dessen Funktionen aus. Trotz der Vorbehalte startete Markus Rehm im Juli 2014 bei den Deutschen Meisterschaften nichtbehinderter Sportler und gewann. Weil allerdings die Tatsache, ob seine Prothese ihm nicht doch einen Vorteil verschaffte, nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, entschied der Deutsche Leichtathletik-Verband, dass Markus Rehm zwar den Titel als Weitsprungmeister behalten darf. Er darf auch weiterhin an Wettkämpfen mit nichtbehinderten Sportlern teilnehmen, aber künftig werden seine Weitsprünge gesondert bewertet. Zumindest hat Markus Rehm ein sportliches Ziel verwirklicht: Er hat die Acht vor dem Komma nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen. Sein Sprung bei den Meisterschaften lag nämlich bei 8,24 Metern, eine Weite, die er 2015 nochmals übertraf: Beim Paralympic-Meeting in Barcelona sprang er 8,29 Meter.

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