Die Mehrzahl der Deutschen gehört einer christlichen Religion an. Sind sie religiös oder atheistisch? Welche Rolle spielt Glauben für sie in der heutigen Zeit? Eine Religionsstudie kam zu klaren Ergebnissen.

Sprecher:
Die Frage, woran die Menschen in Deutschland glauben, ist nicht schnell zu beantworten. Jemand kann beispielsweise Katholik oder Protestant sein, muss aber nicht unbedingt an Gott glauben. Katholiken und Protestanten sind die größten Religionsgemeinschaften in Deutschland. Nach einer Statistik des „Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienstes“, kurz REMID, lebten im Jahr 2011 rund 24,5 Millionen Katholiken und rund 23,62 Millionen Protestanten in Deutschland. Um einen Überblick darüber zu bekommen, woran Menschen rund um den Globus glauben, führte die deutsche Bertelsmann-Stiftung erstmals 2007 eine weltweite Befragung durch: In 21 Ländern, darunter Deutschland, wurden jeweils 1000 Menschen unter anderem gefragt , was ihnen am Glauben wichtig ist, ob sie religiös sind – also entsprechend ihrer Religion leben, denken und handeln – und wie sie diese Religiosität im Alltag anwenden. Die Studie wurde als sogenannter „Religionsmonitor“ 2008 veröffentlicht. Weil die Zahl der befragten Muslime in Deutschland zu gering war, wurde eine gesonderte Befragung durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einer Sonderstudie veröffentlicht. Wie hoch der prozentuale Anteil der Religiosität in Deutschland damals war, fasst Sozialwissenschaftler Kai Unzicker zusammen:

Kai Unzicker:
„52 Prozent können wir aufgrund unserer Daten als religiös bezeichnen, 18 Prozent als hochreligiös. Und wenn man am anderen Ende der Skala die Nichtreligiösen oder die Atheisten anschaut, da liegt Deutschland mit 28 Prozent.“

Sprecher:
Die von den Statistikern erhobenen Daten zeigten etwas Erstaunliches: Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gab an, sie sei religiös. Als hochreligiös, also als ganz besonders fromm und gläubig, bezeichneten sich 18 Prozent. Allerdings gab auch jeder Dritte an, entweder gar nichts mit Religion zu tun zu haben oder überhaupt nicht an einen Gott zu glauben, ein Atheist zu sein. Nicht nur die stetig steigende Zahl von Atheisten deutet nach den Untersuchungsergebnissen auf einen Veränderungsprozess in der Gesellschaft hin. Auch christliche Grundüberzeugungen wie etwa ein Leben nach dem Tod werden immer seltener geteilt. Darüber hinaus nimmt das Praktizieren des Glaubens langsam ab, indem sich beispielsweise nur noch eine kleine Minderheit der Kirchenmitglieder am Gemeindeleben beteiligt. Diese Ergebnisse bestätigte auch der zweite „Religionsmonitor“, den die Bertelsmann-Stiftung 2013 durchführte. Sozialwissenschaftler Kai Unzicker hat feststellt, dass es eine neue Art der Religiosität gibt:

Kai Unzicker:
„Dass Religiosität individueller wird, dass sie sich ausdifferenziert. Und das ist also, selbst wenn ich demselben Glaube angehöre, derselben Konfession angehöre, die Art und Weise, wie der Glaube gelebt wird, doch viel stärker individuell ausgelebt wird. Das heißt, man nimmt sich Anleihen aus anderen Religionen, man lässt sich beeinflussen von auch Esoterik, von anderen spirituellen Praxen. Die Leute meditieren. Also, an der Stelle: Die neue Religiosität ist vor allen Dingen eine vielfältige und eine individualistische.“

Sprecher:
Kai Unzicker stellt fest, dass die Konfession, die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, heutzutage nicht mehr unbedingt bedeutet, dass jemand die mit ihr verbundenen Glaubenssätze auch anwendet. Stattdessen werde der Glaube nach eigenen Vorstellungen gelebt, er werde individueller. Dadurch grenze die Religiosität des Einzelnen sich ab, sie differenziere sich. Mancher Gläubige bediene sich Elementen aus anderen Religionen, er nehme – wie es Kai Unzicker formuliert – Anleihen bei ihnen. Dazu gehört das Meditieren, dessen Ziel es ist, durch Konzentrations- und Bewusstseinsübungen sich selbst oder die Kraft eines höheren Wesens zu erfahren. Manche Menschen sind laut Kai Unzicker Anhänger der Esoterik. Sie glauben unter anderem an geheime Mächte, Engel und Geister. Dabei bedienen sie sich besonderer geistiger, spiritueller, Praktiken oder Praxen, wie der Anrufung von Geistern oder der Seelen Verstorbener, der Wahrsagerei oder des Kartenlegens. Den Trend, den eigenen Glauben mit anderen Praktiken zu vermischen, sieht auch der Journalist Matthias Drobinski. Bei Recherchen für ein Buch traf er auf eine Wahrsagerin, die zugleich bekennende Christin ist:

Matthias Drobinski:
„Sie findet Maria toll, also, da ist sie auf einmal sehr katholisch. Und glaubt aber auch an die Macht ihrer Karten und des Schicksals. Also, dass sie Menschen auch wirklich dann die Zukunft vorhersagen kann. Also, wo sich richtige evangelische Wortfrömmigkeit mit Marienfrömmigkeit und Esoterik mischen. Und das, glaub’ ich, ist das, was zunimmt, dass die Menschen auf einem wie immer gearteten christlichen Hintergrund, sich so ihre Religion selber machen.“

Sprecher:
Die Frau, die Matthias Drobinski befragte, ist Protestantin. Gleichzeitig bezeichnet er sie als sehr katholisch, weil sie die Mutter Gottes Maria verehre. Diese Marienfrömmigkeit ist ein besonderes Kennzeichen der katholischen Kirche. Maria wird als Heilige verehrt, zu der gebetet wird. Eine solche Anrufung von Heiligen gibt es in der protestantischen Kirche nicht. Laut Matthias Drobinski hat sich seine Interviewpartnerin ihren eigenen Glauben geschaffen. Der bestehe nicht nur aus dieser Marienfrömmigkeit. Er beinhalte auch Glaubenssätze der Protestanten, eine evangelische Wortfrömmigkeit, sowie den Glauben an die Macht der Karten. Gemeint ist hier die Praxis von Wahrsagern, bedruckte Spielkarten zu legen, um jemandem die Zukunft vorherzusagen. Matthias Drobinski erwartet, dass sich in Zukunft immer mehr Christen ihre eigene Religion schaffen, egal wie auch immer ihr Glaube beschaffen, geartet, sei. Diesen Trend sehen die Kirchen in Deutschland mit Sorge. Wie sieht Matthias Drobinski deren Zukunft?

Matthias Drobinski:
„Ich glaube nicht, dass die christlichen Kirchen verschwinden werden. Ich glaube auch, dass sie auf unabsehbare Zeit die größten religiösen Gruppen bleiben werden, nur halt dramatisch weniger als jetzt. Aber gleichzeitig wird es andere Aufbrüche geben.“

Sprecher:
Nach Meinung von Mattias Drobinski werden die christlichen Kirchen in Deutschland noch sehr lange, auf unabsehbare Zeit, die größte religiöse Gemeinschaft bleiben. Sie
würden allerdings sehr viele Mitglieder verlieren. Gleichzeitig werde es andere Aufbrüche geben. Damit meint er etwa Gläubige, die außerhalb der Institution Kirche ihren Glauben praktizieren werden, wenn die Kirche sich nicht reformiert, an die moderne Zeit anpasst. Die Institution Kirche bricht auf, wie etwas, das unter großem Druck steht. Ähnlich sieht das Sozialwissenschaftler Kai Unzicker:

Kai Unzicker:
„Religiosität ist weiterhin vorhanden, auch in westeuropäischen säkularen Gesellschaften, aber eben in einer weniger institutionell gebundenen Form. Und im Rest der Welt war sie sowieso nie verschwunden.“

Sprecher:
Kai Unzicker meint, dass da, wo Religion keine so bestimmende Rolle spiele, in säkularen, verweltlichten, Gesellschaften, viele Menschen doch mit ihr verbunden seien. Dafür müssen sie aber nicht unbedingt einen Gottesdienst besuchen oder am christlichen Gemeindeleben teilnehmen. Die Religiosität sei – wie er es ausdrückt – weniger institutionell gebunden. In anderen Ländern sei sie sowieso immer vorhanden gewesen. Auch wenn Religiosität im Alltag in Deutschland eine immer geringere Rolle spielt, bleiben, so – das Fazit der Bertelsmann-Stiftung –, „Werte wie Solidarität und Hilfsbereitschaft für viele Menschen wichtig.“

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