Jährlich schließen sich viele junge Menschen der Terrorgruppe Islamischer Staat an – auch aus Deutschland. Sie träumen davon, mutige Kämpfer zu sein, doch die Realität sieht anders aus. Manche schaffen es zu fliehen.
 
Ebrahim B. wollte ein Held sein: ein Dschihadist, der dabei hilft, einen fundamental-islamischen Gottesstaat zu errichten. Für die islamistische Terrorgruppe „Islamischer Staat“, kurz IS, wollte er als Selbstmordattentäter sterben. Im Sommer 2014 hielt sich der in Wolfsburg lebende Deutsch-Tunesier drei Monate im Irak und in Syrien auf, bis er zurück nach Deutschland floh. Im November 2014 wurde er dort von der Polizei festgenommen. Beinahe ein Jahr später, im August 2015, begann im niedersächsischen Celle der Prozess gegen ihn und einen Mitangeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Ebrahim B. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines Selbstmordanschlags in Bagdad vor. In einem Fernsehinterview vor Prozessbeginn schilderte er der deutschen Öffentlichkeit als Erster, warum er sich der Terrorgruppe anschloss und warum er floh. Denn die meisten schweigen aus Angst vor Rache. Warum er sich an die Öffentlichkeit wagt, begründete er so:
 
„Ich hab das Bedürfnis, vieles zu erklären: Nicht nur in meiner Stadt, nicht nur in Deutschland oder nur in Niedersachsen, nicht nur in Europa, sondern weltweit möchte ich, dass die Wahrheit ankommt. Und deswegen bin ich heute hier, um mich vom IS zu distanzieren, das sage ich ganz deutlich.“
 
Ebrahim B. hat nach eigenen Worten das Gefühl, erklären zu wollen, mit welchen Methoden die Terrorgruppe arbeitet. Er verspürt das Bedürfnis dazu. Und er will sich vom IS distanzieren, will deutlich machen, dass er mit ihm nichts mehr zu tun haben will. Terrorexperten haben lange auf jemanden wie Ebrahim B. gehofft, der aussteigt, nicht mehr mitmacht. Zu ihnen gehört auch Professor Peter Neumann, Extremismusforscher vom Londoner King’s College. Er sagt, warum:
 
„Es wird ja immer so der Eindruck vermittelt, auch durch die Medien, aber auch vor allem durch den Islamischen Staat selbst, dass alle, die dorthin gehen, unglaublich glücklich sind, unglaublich entschlossen, motiviert sind, keinerlei Zweifel haben, von der Ideologie total überzeugt sind. Und das ist etwas, was dieser Aussteiger sozusagen zerstört, diesen Mythos der Entschlossenheit und Geschlossenheit.“
 
Menschen wie Ebrahim B. sind anfangs völlig, total, überzeugt von den politischen und religiösen Zielen, der Ideologie, des IS. Sie sind sehr, unglaublich, entschlossen, man kann sie nicht davon abbringen. Denn laut Peter Neumann existiert ein falsches Bild von der Terrorgruppe, ihrem Handeln und ihren Zielen. Es wird laut Peter Neumann ein Mythos geschaffen, eine falsche Vorstellung. So arbeiten diejenigen, die die jungen Menschen anwerben, mit verschiedenen, nicht unbedingt wahrheitsgetreuen Methoden. Auch wird ihnen das Leben, das sie als Mitglied des IS führen können, in sonnigen, hellen, Farben geschildert. Im Fall von Ebrahim B. war das die Aussicht, teure Autos fahren und vier Frauen heiraten zu können. Vor Ort wird dieser Mythos aber zerstört, sagt die Frankfurter Islamismusexpertin Professor Susanne Schröter:
 
„Diese sonnige salafistisch-dschihadistische Erzählung, die hat natürlich einen Mangel: Sie ist nicht realitätserprobt. Das heißt, die Jugendlichen, die erfahren ja nur das, was sein soll. Und ich glaube, man muss ‘n großes Augenmerk drauf legen auf Leute, die zurückkommen und desillusioniert sind: entweder, weil sie nicht gefunden haben, was sie suchen, weil sie Kämpfer werden wollten und sind beim Autowaschen gelandet. Oder junge Frauen, die wollten ihren Märchenprinz finden und sind dann in der nahezu Prostitution gelandet. Oder Leute, die von den Menschenrechtsverletzungen abgeschreckt waren.“
 
Militante islamische Gruppen wie Dschihadisten sowie Salafisten, die einen demokratischen Rechtsstaat ablehnen und einen Staat nach der islamischem Scharia führen wollen, schildern ein entsprechendes Leben in den schönsten Farben. Allerdings stimmt es mit der Realität nicht überein. Es ist – wie es Susanne Schröter formuliert – nicht realitätserprobt. Junge Männer kämpfen nicht, sondern waschen Autos, junge Frauen finden nicht den gewünschten starken Mann ihrer Träume, ihren Märchenprinzen. Stattdessen werden sie fast, nahezu, wie Prostituierte behandelt. Andere wiederum müssen feststellen, dass unschuldige Zivilisten getötet und die Menschenrechte nicht geachtet werden. Sie sind von diesen Taten abgeschreckt, finden sie abscheulich. Und sehr enttäuscht, desillusioniert, kehren diese jungen Menschen dann zurück. Professor Susanne Schröter findet, dass sich deutsche Behörden genau um diese Heimkehrer besonders kümmern sollten, sie sollten ihr Augenmerk auf sie legen. Das Londoner King’s College etwa forderte in einem Lagebericht Ende September 2015 dazu auf, es IS-Aussteigern leichter zu machen, sich zu äußern, indem ihnen nicht mit einer Bestrafung gedroht werde. Nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Marwan Abou-Taam, der für das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz arbeitet, ist aber auch wichtig, nach den Gründen zu suchen, warum junge Menschen motiviert werden, sich zu radikalisieren und Lösungen anzubieten:
 
„Eine zentrale letztendlich halt Motivationslinie, das sind Narrative. Also quasi, das ist im Prinzip hier die Situation, dass diese jungen Menschen einmal auf der Suche sind nach einer Rolle in dieser Gesellschaft. Und auf der anderen Seite ist es so, dass die sich zu sehr solidarisieren mit bestimmten Fehlentwicklungen in Syrien, im Irak und so weiter und so fort. Das heißt, hier haben wir zwei Baustellen: Einmal eine innenpolitische Baustelle, an der wir uns rein begeben müssen. Das heißt, wir müssen jungen Menschen Teilhabe und Beteiligung ermöglichen und ihnen das auch mitteilen, dass sie ‘s können. Und auf der anderen Seite nach außen muss es so sein, dass wir uns mehr darum kümmern, dass Kriege zivil beendet werden.“
 
Laut Marwan Abou-Taam lassen sich die betroffenen jungen Leute sehr stark von Erzählungen, Narrativen, beeinflussen, weil sie einerseits ihre eigene Rolle noch nicht gefunden haben, und andererseits mit politischen Entwicklungen nicht einverstanden sind, sie als falsch, als Fehlentwicklung betrachten. Sie verbünden sich mit Gleichgesinnten, die gegen diese Fehlentwicklungen etwas tun wollen, solidarisieren sich mit ihnen. Laut Marwan Abou-Taam gibt es hier also für Politiker zwei Baustellen – ein umgangssprachlicher Begriff für ein ungelöstes Problem. Die Lösung ist seiner Ansicht nach, vor allem junge Menschen mit Migrationshintergrund besser in die Gesellschaft zu integrieren, ihnen eine Teilhabe zu ermöglichen. Auf der außenpolitischen Ebene muss seiner Meinung nach dafür gesorgt werden, dass Kriege auf dem Verhandlungsweg, also zivil beendet werden. Die beiden Wissenschaftler Susanne Schröter und Peter Neumann hoffen, dass es noch mehr Aussteiger wie Ebrahim B. gibt, die sich öffentlich äußern:
 
„Dass solche Leute tatsächlich auch erzählen, wie ist das denn wirklich im Islamischen Staat. Und da könnte ich mir vorstellen, dass da diese sonnige Erzählung doch Schattenflecken bekommt. / Ich glaube, dieses mutige Beispiel könnte andere dazu motivieren, seinem Beispiel zu folgen. Und wenn es gelingt, zum Beispiel durch solche Aussteiger auch nur fünf oder zehn Prozent Zweifel zu säen, dann könnte man möglicherweise viele Leute davon abhalten, nach Syrien zu gehen.“
 
Susanne Schröter hofft, dass durch Erzählungen wie die von Ebrahim B. das Bild, das die radikalen Islamisten von sich selbst und ihrem Leben zeichnen, Schattenflecken bekommt, es deutlich wird, dass nicht alles so ist, wie beschrieben. Und wenn dann laut Peter Neumann bei wenigstens fünf bis zehn Prozent junger Menschen Zweifel gesät werden, sie also misstrauisch werden, dann besteht nach seiner Ansicht auch die Chance, dass mehr junge Menschen davon abgehalten werden, sich Terrorgruppen wie dem IS anzuschließen.

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