Sie wiederholen immer wieder einzelne Silben oder Laute. Nach dem Weg fragen oder ein Telefonat führen, kann für sie ein großes Problem sein: Stotterer. Heilen kann man Stottern nicht, aber behandeln.

Sprecher:
Rund 800.000 Menschen in Deutschland gehören zu dieser Gruppe: zu denjenigen, bei
denen der Redefluss gestört ist, zu Menschen, die stottern. Auch viele berühmte
Persönlichkeiten waren oder sind Stotterer wie beispielsweise der Schauspieler Bruce Willis, „Der Graf“ – Frontsänger der deutschen Band „Unheilig“ –, der frühere britische König George VI. oder der britische Schriftsteller George Bernard Shaw. Meist macht sich das Stottern im Alter von drei bis sechs Jahren bemerkbar. Wird die Sprechstörung dann bereits von einem Sprachtherapeuten, einem Logopäden, behandelt, sind die Chancen gut, dass etwa 60 bis 80 Prozent im Laufe der Jahre mit dem Stottern aufhören. Die anderen müssen lernen, mit der Störung zu leben. Geheilt werden kann sie nicht. Männer sind mit 80 Prozent wesentlich häufiger betroffen als Frauen. Professor Dr. Martin Sommer, Neurologe an der Universitätsklinik Göttingen, weiß genau, wovon er spricht, wenn er das Erscheinungsbild des Stotterns beschreibt, weil er selbst betroffen ist:

Martin Sommer:
„Ich vergleich’ das immer mit jemandem, der Autoradio hört und nicht ganz so guten
Empfang hat. Er mag ‘n bisschen Rauschen im Radio dabei haben, aber in den meisten
Situationen reicht es noch, um die Nachricht des Radiosprechers zu verstehen. Wenn dann aber irgend’ne Störung noch zusätzlich hinzukommt – ‘ne Brücke oder irgend’ne enge Straße –, dann bricht das Signal ab. Die klassischen Kernsymptome sind die Wie-Wie-Wie-Wiederholungen, die T-e-h-n-u-n-g-e-n, Dehnungen, und die gespannten Blockaden, wo also die Sprechorgane – wie eben gezeigt – komplett blockieren, ohne dass nach außen etwas dringt, aber ‘ne große Anspannung der Artikulationsorgane besteht.“

Sprecher:
Was für flüssigsprechende Menschen überhaupt keine Schwierigkeit ist, kann für einen
Stotterer zu einem unüberwindbaren Hindernis werden. Martin Sommer verwendet das
Beispiel eines Autofahrers, der Radio hört. Wenn es ein Durcheinander von Tönen gibt,
rauscht es. Man kann aber noch in etwa verstehen, was gesagt wird. Wenn die Antenne
aber beispielsweise wegen eines Hindernisses gar keine Radiosignale empfängt, wenn das
Signal abgebrochen ist, hört der Autofahrer nichts mehr. Ähnlich ergeht es stotternden
Menschen. Ihre „Signale“ sind „gestört“. Die Wörter wollen einfach nicht raus, nicht nach
außen dringen. Deutliche Symptome, Kernsymptome, sind dann beispielsweise, dass
Wörter wiederholt oder gedehnt gesprochen werden. Der stotternde Mensch weiß genau,
was er sagen möchte. Aber die Teile des Körpers, die man zum Sprechen braucht, die
Artikulationsorgane, sind blockiert. Früher ging man davon aus, dass diese Organe – wie etwa die Zunge – nicht richtig funktionieren. Wissenschaftler fanden bei Untersuchungen von Erwachsenen allerdings heraus, dass es andere Gründe gibt. Zum einen wurden in der linken vorderen Hirnhälfte – also in den Bereichen, die für das Sprechen zuständig sind – Störungen innerhalb des Gehirns festgestellt. Davon betroffen sind auch die Nervenverbindungen. Zum anderen spielen auch psychische und genetische Ursachen eine Rolle. So stottern viele Betroffene mehr, wenn sie unter Druck geraten – oder es liegt redensartlich in der Familie, wie bei Reiner Nonnenberg:

Reiner Nonnenberg:
„Mein Vater stotterte und mein Großvater auch, und ich hab’ auch einen Sohn, der stottert auch. Ich hab’ dann eben auch schon so das Gefühl, es kommt also über mich, und ich kann dann da also nicht so viel machen.“

Sprecher:
Bei dem über 70-jährigen Steuerberater ist die Sprechstörung in seiner Kindheit und Jugend nicht behandelt worden, weil es damals noch nicht üblich war. Er spürt, wenn er stottern wird. Bildlich gesprochen überfällt es ihn ganz plötzlich, ohne dass er sich wehren kann. Es kommt – wie er umgangssprachlich sagt – über ihn. In einigen deutschen Städten haben sich stotternde Menschen in Selbsthilfegruppen organisiert, auch in Köln. Einmal in der Woche können sie in einer offenen Atmosphäre einen selbstbewussten Umgang mit dem eigenen Stottern erlernen. Und das geschieht beispielsweise, indem sie am Telefon oder vor der Videokamera mit Alltagssituationen konfrontiert werden, aber auch durch das Vorlesen von Texten. Bei den Behandlungsmethoden gibt es zwei wichtige wissenschaftliche Richtungen, große Schulen. Die eine ist das sogenannte „Fluency Shaping“. Stotternde üben hier eine besondere Sprechtechnik: Die Atmung, der Stimmausdruck, die Artikulation, das Sprechtempo und der Sprechrhythmus werden so verändert, dass beinahe nicht mehr gestottert wird. Das hat aber seinen Preis, es muss ein Opfer gebracht werden, meint Professor Martin Sommer:

Martin Sommer:
„Der Preis ist natürlich, dass ich die ganze Zeit etwas komisch reden muss, weil sonst das Stottern wieder kommen kann. Die andere große Schule ist die ‚Stottermodifikation‘, wo ich eben normalerweise so rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und nur an den Stellen, wo ich hängenbleibe, versuche, die Sprechblockade, den Kontrollverlust, langsam oder kontrollierter aufzulösen.“

Sprecher:
Die zweite Methode ist laut Professor Martin Sommer die Stottermodifikation oder auch „Dysfluency Shaping“. Bei ihr lernen stotternde Menschen Situationen, in denen sie die Kontrolle über ihr Sprechen verlieren können, rechtzeitig zu erkennen. Wenn sie an einer Stelle nicht weiterkommen, hängenbleiben, können sie mit Hilfe spezieller Techniken darüber hinwegkommen. Sie können sie – wie es Professor Martin Sommer formuliert – kontrollierter auflösen. Der Vorteil dieser Methode ist, dass man nicht „komisch“ reden muss, sondern so, wie man will, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Diese umgangssprachliche Redewendung bedeutet, dass man beim Sprechen nicht besonders auf seine Ausdrucksweise achtet. Auf stotternde Menschen bezogen heißt dies, dass nicht so genau auf eine Technik geachtet wird. Die Redewendung geht zurück auf die mittelalterliche Sprache – auf den Vogel, der so singt, wie es ihm aus dem Schnabel kommt. Das Singen spielt auch bei stotternden Menschen eine besondere Rolle. Da es von der rechten Hirnhälfte gesteuert wird, die in der Regel die Defizite der linken auszugleichen versucht, können fast alle Stotterer flüssig singen:

Peter:
„Was it summer when the river ran dry / Or was it just another dam? / When the evil of a snowflake in June / Could still be a source of relief / O how I love you, I once cried long ago / But I was the one who decided to go …“

Sprecher:
Peter, der in der Selbsthilfegruppe in Köln aktiv ist, kann den Song „Mad Man Moon“ der Band Genesis nicht nur melodisch, sondern auch ohne Stottern singen. Die Sprechstörung ist zwar nicht heilbar. Aber Professor Martin Sommer zitiert einen Spruch des US-Wissenschaftlers Charles Van Riper, einem der berühmtesten Experten auf dem Gebiet des Stotterns:

Martin Sommer:
„Wir können uns nicht aussuchen, ob wir stottern. Wir können uns aber aussuchen, wie wir stottern.“

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