Der Massenmord an Millionen von Juden spielt im deutschen Bewusstsein weiterhin eine sehr große Rolle. Wie aber wird das Thema an deutschen Schulen behandelt, wie in Schulbüchern? Eine Studie fand Interessantes heraus.

Bis zu sechs Millionen Juden wurden in der Zeit des Nationalsozialismus grausam ermordet. Der Begriff „Holocaust“, der zunächst im britischen Sprachraum für einen Genozid, einen Völkermord verwendet wurde, setzte sich im Lauf der Zeit als allgemeine Bezeichnung für den Massenmord an den Juden während der NS-Zeit durch. Das Wort selbst leitet sich von einem griechischen Begriff ab, der ursprünglich für die Brandopferung von Tieren stand, später dann auch für den Verbrennungstod von Menschen. Seit 1996 wird in ganz Deutschland jährlich am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Bis zu diesem „Holocaust-Gedenktag“ war es ein langer Weg. Zunächst wurden der Holocaust und die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland zögerlich aufgearbeitet. Erst ab etwa Mitte der 1960er-Jahre änderte sich das – zumindest im Westen Deutschlands. Im Osten, in der damaligen DDR, wurde die Vergangenheitsbewältigung für beendet erklärt – mit dem Hinweis darauf, dass die DDR ein antifaschistischer Staat sei. In den westdeutschen Schulen befasste man sich mit dem Thema. Die Bundeszentrale für politische Bildung, eine staatliche Behörde, betrieb Aufklärung durch Schriftenreihen oder Veranstaltungen. Auch heute, mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, nimmt die Beschäftigung mit diesem Kapitel der Vergangenheit an deutschen Schulen viel Platz im Unterricht ein, betont Ulrich Dovermann von der Bundeszentrale für politische Bildung:

„Also, es ist in allen Lehrplänen, in allen Schulformen bindend vorgeschrieben, sich mit dem Thema zu befassen. Und das umfasst durchaus nicht nur das Fach politische Bildung, sondern auch Literaturwissenschaften, Religion, Ethik, Philosophie. In all diesen Bereichen kann es besprochen werden und wird es auch besprochen.“

Sich mit dem Thema „Nationalsozialismus“ im Unterricht zu befassen, ist eine Pflicht. Es ist bindend vorgeschrieben, die Lehrer müssen sich daran halten. Dabei spielt laut Ulrich Dovermann die Schulform keine Rolle, also ob es sich etwa um ein Gymnasium, eine Realschule oder eine Berufsschule handelt. In welcher Form das Thema behandelt wird, geben die Lehrpläne vor, Richtlinien, in denen zum Beispiel Unterrichtsumfang, Lerninhalte und Lernziele festgeschrieben sind. In Deutschland werden die Lehrpläne von den Kultusministern der 16 Bundesländer für die einzelnen Schulformen beschlossen. Auch Schulbuchverlage müssen sich an sie halten. Wie aber wird besonders der Holocaust in Lehrplänen und Schulbüchern behandelt, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit? In einer Studie gingen Forscher vom Braunschweiger Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung dieser Frage im Auftrag der UNESCO, der Bildungsorganisation der Vereinten Nationen, nach. Dabei wurden insgesamt 272 Lehrpläne für 14- bis 18-Jährige in 135 Ländern analysiert. Dazu kamen noch Schulbücher aus 26 Ländern. Dabei stellte sich heraus, dass der Holocaust zwar in den meisten Lehrplänen ein Thema war, aber je nach Region und Regierung eine unterschiedliche Bedeutung hatte. Viel Beachtung findet der Holocaust in Deutschland und 56 anderen Nationen. Allerdings gibt es in deutschen Lehrwerken manchen Schwachpunkt, meint Frank Bajohr vom Münchner Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte:

„Es scheint hier eine ältere Sichtweise des Holocaust sich niederzuschlagen, der eben relativ lange, vor allem in Deutschland als ein letztendlich von oben nach unten zentral durch die Person Hitler exekutiertes Verbrechen gezeichnet wurde – mit strikter Planung, Idee, Konzeption und Umsetzung von oben nach unten.“

Nach Ansicht von Frank Bajohr wird in Schulbüchern eine nicht mehr dem Forschungsstand entsprechende Ansicht, eine ältere Sichtweise, des Holocausts vermittelt. Sie ist dort erkennbar, schlägt sich nieder. Die Massenvernichtung der Juden werde als etwas dargestellt, das allein durch Adolf Hitler geplant und veranlasst, exekutiert, worden sei. Forscher haben dagegen herausgefunden, dass mehr als 250.000 Menschen daran beteiligt waren, in Deutschland und in Österreich. Wenig beachtet wurde zudem, dass es auch andere Opfergruppen gab, dass auch normale Bürger eine Mitverantwortung trugen und dass auch europäische Nachbarstaaten in die Judenverfolgung verwickelt waren. Umso verwunderlicher, dass in manchen Ländern der Holocaust keine Rolle spielt. In einigen Gliedstaaten, Kantonen, des Schweizer Staatenverbandes zum Beispiel gehört der Holocaust offiziell nicht zum Unterrichtsstoff an Schulen. Das erstaunt Frank Bajohr:

„Es ist doch etwas merkwürdig, dass doch ein so zentrales Thema wie der Holocaust nicht in einem Lehrplan festgehalten wird. Das schafft ja auch eine entsprechende Verbindlichkeit bei diesem Thema. Und es gibt ja gerade für die Schweiz, die ja keine unberührte Insel in den 30er- und 40er-Jahren gewesen war, die Schweizer Historikerkommission, die sich in vielen, vielen Bänden jahrelang mit den Beziehungen zum nationalsozialistischen Deutschland und auch der Verwicklung der Schweiz in die damaligen Ereignisse befasst hat.“

Frank Bajohr findet es merkwürdig, dass in manchen Schweizer Lehrplänen – anders als in deutschen – das Holocaust-Thema nicht verpflichtend vorgeschrieben ist. So wird keine Verbindlichkeit geschaffen, es muss nicht im Unterricht behandelt werden. Erstaunlich findet es der Historiker deshalb, weil die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Naziregime von einer unabhängigen Expertenkommission gut aufgearbeitet wurden. Die „Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg“ hatte 2002 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Dabei stellte sich unter anderem heraus, wie Frank Bajohr es formuliert, dass die Schweiz in den 1930er- und 1940er-Jahren keine unberührte Insel war, also frei von jeglicher Verwicklung in die Machenschaften der Nazis. In insgesamt 25 Buchbänden wird diese Verwicklung, vor allem im Finanzbereich, dargestellt. Das Georg-Eckert-Institut stellte zudem fest, dass auch außerhalb Europas der Völkermord an den Juden in Schulbüchern unterschiedlich thematisiert wird. Die Darstellungen waren je nach Land meist ungenau, erwähnten wichtige Fakten nicht oder erklärten den Holocaust nur teilweise. Die Schulbuchforscher empfehlen als Fazit ihrer Studie, historische Fakten stärker zu vermitteln und Autorentexte durch Zeitzeugenberichte zu ergänzen. In deutschen Schulen ging man bereits mit Ende der 1960er-Jahre dazu über, den Schülern nicht nur reine Zahlen und Fakten zu präsentieren, sondern Einzelschicksale verfolgter Juden in den Vordergrund zu rücken. Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Philologenverband, der Dachorganisation der Lehrkräfte an Gymnasien, findet dabei eine Sache sehr wichtig:

„Ich glaub tatsächlich, dass das Runterbrechen erst einmal auf die Erfahrungswelt von Schülern natürlich, aber auch auf das regionale Umfeld ganz, ganz wichtig ist. Das ist enorm wichtig, falls noch Zeitzeugen zur Verfügung stehen.“

Jugendliche können sich mit dem Thema Holocaust nach Ansicht von Heinz-Peter Meidinger besser auseinandersetzen, wenn es ihre Lebenswirklichkeit berührt. Es muss auf ihre Erfahrungswelt heruntergebrochen, übertragen, werden. Ein Beispiel wäre, das „Tagebuch der Anne Frank“ im Unterricht zu behandeln, die im März 1945 im Alter von 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben kam. Es können aber auch Zeitzeugen sein, also Menschen, die den Holocaust überlebt haben und davon erzählen können. Das findet auch Heinrich Bartels von der Bundeszentrale für politische Bildung ganz wichtig:

„Ich halte das für ein Konzept, was auch heute noch – und bald eben auch leider nicht mehr – ‘n Königsweg aufzeigt, auch für Jugendliche in Schulen und andernorts: dass man mit Überlebenden spricht, die ihre eigene Geschichte erzählen, die oft eine Geschichte im Alter der Jugendlichen gewesen ist. Und damit in ganz anderer Weise – wenig abstrakt, nicht theoretisch – den Leuten vermittelt, was eigentlich passiert ist und wie Menschen das empfunden haben. Und es gibt ja die große Projekte – auch von Steven Spielberg zum Beispiel – mit den Aufzeichnungen von Überlebenden, die ihre Geschichte erzählen.“

Wenn Zeitzeugen erzählen, was ihnen passiert ist, ist das nicht so abstrakt, unpersönlich, wie die Darstellung in einem Schulbuch. Für Heinrich Bartels stellt diese Möglichkeit einen Königsweg dar. Der Begriff steht in der deutschen Sprache als Synonym für die beste Wahl, den besten Weg und geht zurück auf das Altertum. Königswege waren die besten und kürzesten Straßen innerhalb der jeweiligen Reiche und durften nur von den Regenten befahren werden. Allerdings, so stellt Heinrich Bartels fest, werden bald alle Zeitzeugen gestorben sein. Deren Aufgabe könnten dann Projekte wie das des US-Regisseurs Steven Spielberg übernehmen. Dessen Film- und Videoarchiv im „Holocaust Memorial Museum“ gilt als eine der größten Videosammlungen zum Thema. Auch Besuche in Konzentrationslagern mit ihren umfangreichen Dokumentationszentren können dazu beitragen, bei Schülerinnen und Schülern die Erinnerung an dieses grausame Verbrechen wachzuhalten.

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